Gottfried II. der Bärtige, Herzog von Lothringen

Gottfried, zubenannt der Bärtige, Herzog von Lothringen, anfangs (1044–47) des oberen, später (1065-69) des niederen, seit 1057 auch Herzog von Spoleto und Markgraf in der Pentapolis, ältester Sohn des Herzogs Gozelo von Lothringen und dessen Mitkämpfer in der Schlacht bei Bar-le-Duc, die am 15. November 1037 geschlagen, hauptsächlich durch die Tapferkeit des jungen Gottfried zu Gunsten der Deutschen entschieden wird; wahrscheinlich schon damals Mitherzog seines Vaters in Oberlothringen, welches nach dem Tode Gozelos (gest. 1044 wahrscheinlich am 19. April) ganz auf ihn übergeht.

Im Herzogtum von Niederlothringen folgt auf Gozelo sein gleichnamiger Sohn Gozelo der Jüngere, auch zubenannt der Feige; er sukzediert auf Grund einer letztwilligen Verfügung des Vaters, welche König Heinrich III. im Voraus gebilligt hat und unverzüglich ausführt, aber unter heftigem Widerspruch Gottfrieds, der Niederlothringen für sich in Anspruch nimmt, die ganz Lothringen umfassende Herzogsgewalt seines Vaters ungeteilt fortsetzen will. Dieser Widerstreit dynastischer Ansprüche und Interessen, an sich nichts Ungewöhnliches in der damaligen Zeit, in der Geschichte des deutschen Reichs unter den ersten Kaisern des fränkischen Hauses, erhält jedoch eine besondere Schärfe und ungemeine Bedeutung dadurch, dass er von vornherein weniger zwischen den beiden fürstlichen Brüdern, Gottfried und Gozelo dem Jüngeren, als zwischen jenem und dem Reichsoberhaupt, dem gleichfalls jugendlichen, energischen und eben damals siegesstolzen König Heinrich III. geführt wird. So persönlich und bis zu einem gewissen Grade auch prinzipiell zugespitzt, weil je nach dem Ausgang das Königtum oder das Fürstentum als solches gestärkt werden muss, ist dieser Nachfolgestreit es denn auch, der Gottfrieds weiteres Leben Jahre lang ausfüllt, ihm wie kein anderes Ereignis Inhalt und Richtung gibt.

Um zum Ziele zu kommen und von Heinrich III. zu erzwingen, was dieser ihm beharrlich verweigert, greift Gottfried zu jedem Mittel, auch zu dem der Empörung und der Verschwörung wie mit einheimischen, so auch mit auswärtigen Fürsten. Einen ersten Versuch der Art macht er schon im Jahre 1044. Verbündet mit König Heinrich I. von Frankreich empört er sich, nachdem Heinrich III. auf die erste Kunde von Gottfrieds Umtrieben eingeschritten ist, ihn reichsgerichtlich aller Reichslehen, auch des Herzogtums, entsetzt hat, und es entbrennt nun ein innerer Krieg, wie man ihn seit den ersten unruhigen Zeiten Konrads II. nicht mehr erlebt hat. Das ganze linksrheinische Deutschland wird in Aufruhr versetzt; bis nach Burgund hin verzweigt sich der Kampf; erst einige glückliche Waffentaten des Königs selbst beenden ihn zum Nachteil Gottfrieds. Mitte des Jahres 1045 unterwirft er sich und wird von den Fürsten des Reichs zu einer Haft verurteilt, die er auf dem festen Giebichenstein bei Halle verbüßt. Sie dauerte nicht ganz ein Jahr, zu einer Reichsversammlung, welche Heinrich III. im Mai 1046 zu Aachen hält, wird Gottfried wieder in Freiheit gesetzt. Auch das Herzogtum von Oberlothringen gibt der König ihm, nachdem er sich öffentlich gedemütigt hat, als Lehen zurück, während Niederlothringen, wahrscheinlich weil Gozelo der Jüngere inzwischen gestorben ist, eben damals auf einen anderen lothringischen Großen, auf Friedrich von Luxemburg, übergeht.

Indessen weder die erlittenen Unfälle, die Niederlagen im Felde und die Gefangenschaft, noch der Gnadenakt des Königs vermögen Gottfrieds Ehrgeiz zu bändigen, sein Machtstreben zu dämpfen: trotzalledem hält er fest an der Absicht sich zum Herzog von ganz Lothringen zu machen und schon im Herbst des Jahres 1047, als König Heinrich III. von seinem Römerzug und der Kaiserkrönung heimgekehrt einen Krieg gegen das abtrünnige Ungarn beginnen will, empört Gottfried sich aufs Neue. An Bundesgenossen fehlt es ihm auch diesmal nicht: mehrere bedeutende Laienfürsten aus der Nachbarschaft, Markgraf Balduin V. von Flandern, die Grafen Hermann von Mons und Dietrich von Holland, schließen sich ihm willig an und lassen sich von Gottfried zu Gewalttätigkeiten fortreißen, welche, wie die Zerstörung der alten Reichspfalz zu Nimwegen, die Einäscherung von Verdun, die Verwüstung und Plünderung bischöflicher Gebiete, namentlich der Kirchen von Utrecht und Lüttich, die Welt mit Schrecken und Abscheu erfüllen. Aber solcher Herausforderung entsprechen dann auch die Anstrengungen des Kaisers und der ihm treu gebliebenen Fürsten, um die Rebellion zu unterdrücken, insbesondere Gottfried zu überwältigen. Das Erste ist, dass der Kaiser ihm das oberlothringische Herzogtum wieder entzieht und es einem elsässischen Großen, Adalbert, überträgt.

Es folgen die Bündnisverhandlungen des Kaisers mit König Heinrich I. von Frankreich, der früher auf Gottfrieds Seite gestanden hat, während er jetzt mit dem Kaiser Frieden und Freundschaft schließt; ferner die Kämpfe der lothringischen Getreuen des Kaisers mit Gottfried, welcher zwar in einem Treffen bei Thuin an der Sambre Ende 1048 seinen Nebenbuhler, den Herzog Adalbert, besiegt und erschlägt, aber bald darauf im Januar 1049 durch die vereinigten geistlichen Herren, die Bischöfe von Metz, Lüttich, Utrecht eine empfindliche Niederlage erleidet; endlich die große Koalition, welche der Kaiser im Jahre 1049 gegen die lothringischen Rebellen zu Stande bringt und sogleich in Bewegung setzt: das Aufgebot der dänischen Seemacht, die Hilfeleistung des englischen Königs, das Einschreiten des römischen Papstes Leo IX., der Gottfried und Balduin exkommuniziert, kurz bevor der Kaiser gegen sie ins Feld zieht. Einer so überlegenen Macht fühlt sich nun aber Gottfried nicht gewachsen, er trennt sich von Balduin, der nun der Gewalt weichen will, stellt sich dem Kaiser freiwillig in Aachen und wird von ihm in Haft genommen, indessen nicht so streng bestraft, wie er es ohne Zweifel verdient hat.

Auf die Fürsprache des Papstes schenkt der Kaiser ihm das Leben, er begnügt sich damit Gottfried als Gefangenen dem Erzbischof von Trier zu übergeben und auch diese Haft dauerte nicht lange. Schon im Jahre 1051 wird Gottfried wieder auf freien Fuß gesetzt; eine Besitzung, welche er früher von dem kölnischen Erzstift zu Lehen getragen hat, wird ihm auf Befehl des Kaisers zurückgegeben; auch die politische Laufbahn erschließt sich Gottfried von neuem, da der Kaiser ihn eben jetzt mit dem Amt betraut, die Reichsgrenze gegen den wiederum abtrünnigen Balduin von Flandern, also Gottfrieds Hauptverbündeten von 1047, zu schützen. Aber herzogliche Gewalt und Stellung räumt der Kaiser Gottfried damit nicht ein: die beiden lothringischen Herzogtümer sind und bleiben noch lange in anderen Händen, Niederlothringen im Besitz Friedrichs von Luxemburg, während in Oberlothringen auf den von Gottfried erschlagenen Adalbert ein naher Verwandter, Graf Gerhard von Elsass, folgt: er ist der Stammvater aller folgenden Herzoge von Oberlothringen oder von Lothringen schlechthin, im späteren Sinne des Wortes.

Einer Wiederherstellung Gottfrieds als Herzog steht der Kaiser durchaus entgegen, aber jener selbst scheint sie nichts destoweniger zu erstreben; jedenfalls ist er nicht gewillt in der untergeordneten Stellung, welche der Kaiser ihm zuletzt angewiesen hat, ruhig zu verharren, sondern rasch entschlossen greift er zu, als sich ihm eine Gelegenheit darbietet für die schweren Einbußen, die er in Deutschland erlitten hat, in Italien entschädigt zu werden. Dieses geschieht im Jahre 1054 durch seine Vermählung mit Beatrix, der Witwe und Nachfolgerin des überaus reichen und weitgebietenden Markgrafen Bonifacius von Tuscien, den außer seiner Gemahlin drei Kinder überleben, ein Sohn Friedrich und zwei Töchter Beatrix und Mathilde, sämtlich sukzessionsfähig, aber auch sämtlich unmündig und schon deshalb des Schutzes bedürftig, den Gottfried, waffenkundig und staatsmännisch gewandt, wie wenig andere Fürsten des Reichs, in Aussicht stellt.

Für ihn ist die Vermählung mit Beatrix nicht bloß im Allgemeinen vortheilhaft, sondern speziell und recht eigentlich für seine Interessen in Lothringen förderlich. Denn die Heimat der Beatrix ist Oberlothringen, der im Jahre 1033 verstorbene Herzog Friedrich war ihr Vater und sie als Allodialerbin Friedrichs ist mit ihrem Vaterland auch nach ihrer Vermählung mit Bonifacius in Zusammenhang geblieben. Dazu kommt noch ein Anderes. Gottfrieds Bruder Friedrich hat mittlerweile in Italien eine glänzende Laufbahn gemacht: durch die Gunst des Papstes Leo IX. von Lothringen nach Rom versetzt, ist er Kardinal der römischen Kirche und unter den vertrauten Ratgebern dieses großen Regenerators der römischen Hierarchie einer der einflussreichsten geworden. Auch diese Beziehungen werden für das gemeinsame Interesse der beiden Brüder erst recht nutzbar, wenn Friedrichs kirchliche Würden einen entsprechenden weltlichen Zuwachs durch Gottfried erhielten, mit anderen Worten: wenn Beatrix, die lothringische Herzogstochter, welche als Nachfolgerin des Bonifacius, als Erbin des Hauses von Canossa in Ober- und Mittelitalien weitaus die erste fürstliche Macht repräsentiert, Gottfrieds Gemahlin wird.

Ein Umstand könnte allerdings an diesem Plan irre machen, von ihm abschrecken: es ist nicht anzunehmen, dass der Kaiser, zu dessen nächsten Verwandten Beatrix als Schwestertochter seiner Mutter Gisela gehört, ihre Verbindung mit einem so durchaus unzuverlässigen Vasallen, wie Gottfried es ist, zugeben wird. So ist es denn auch in der Tat: nachdem sich Gottfried und Beatrix Ende des Jahres 1054 nicht bloß ohne Zustimmung, sondern auch ohne Vorwissen des Kaisers vermählt haben, muss jener sogleich wieder zu den Waffen greifen, um die neu gewonnene Stellung gegen den Kaiser zu behaupten und ob ihm das gelingen wird, ist wenigstens momentan zweifelhaft.

Schon im Frühjahr 1055 erscheint Heinrich III. selbst in Ober-Italien an der Spitze eines bedeutenden Heeres und von vorneherein zu großer Strenge entschlossen, so dass er z. B. Beatrix, die sich aus freien Stücken zu ihm begibt, als Gefangene behandelt. Gottfried weicht ihm deshalb in Italien aus, er begibt sich in seine deutsche Heimat, in die Niederlande, verbündet sich aufs Neue mit dem stets abtrünnigen Balduin von Flandern und unterstützt ihn bei einem Angriff auf Antwerpen, bei einer Belagerung dieser wichtigen Grenzfeste. Indessen als Herzog Friedrich mit seinen Getreuen zum Entsatz heranzieht, weichen sie vor ihm zurück. Überhaupt verzweifelt Gottfried bald mit Waffengewalt etwas auszurichten; nachdem der Kaiser aus Italien zurückgekehrt und anderer Rebellen ohne Mühe Herr geworden ist, stellt Gottfried die Feindseligkeiten ein; auch persönlich nähert er sich dem Kaiser wieder und ergibt sich ihm, wie es scheint, auf Gnade und Ungnade. Heinrich III., trotz der letzten Erfolge von schweren Regierungssorgen bedrängt und der Hingebung aller Fürsten bedürftig wie er ist, lässt Gnade walten. Gottfried bleibt straflos, die Markgräfin Beatrix, seine Gemahlin, von deren drei Kindern nur noch ein einziges, die später so berühmte Mathilde, am Leben ist, erhält die Freiheit und damit den Gatten wieder.

Bald darauf am 5. Oktober 1056 stirbt Heinrich III., nachdem er, wie vereinzelt, aber nicht unglaubwürdig berichtet wird, Gottfried wiederholt gebeten hat, seinem unmündigen Sohn und Nachfolger Heinrich IV. die Treue zu bewahren. Gewiss ist: die Kaiserin Wittwe Agnes als Vormünderin Heinrichs IV. sowie der römische Papst Victor II., der nach dem Wunsch des sterbenden Kaisers der vornehmste Ratgeber der Regentin wird, beide bieten Alles auf, um sich Gottfried zum Freund zu machen. Verhandlungen, die im Dezember 1056 in Köln stattfinden und zugleich auf Balduin Bezug haben, führen zu einem förmlichen Friedensschluss zwischen Gottfried und Kaiser Heinrich IV. Gottfrieds Ehe mit Beatrix und der daraus folgenden Anteil an dem markgräflichen Regiment über die sämtlichen Herrschaften des verstorbenen Bonifacius werden nicht weiter bestritten; auch die lothringischen Allodien und Erblehen Gottfrieds gehen mit Ausnahme des oberen Herzogtums wieder vollständig in seinen Besitz über und von dieser sicheren Grundlage aus gestaltet sich dann Gottfrieds weiteres Schicksal, die letzte größere Epoche seines Lebens entsprechend den dynastischen Interessen, auf die er es von jeher abgesehen hat, es entwickelt sich in demselben Maße günstig wie das Gedeihen des Reichs während dessen zurückgeht, wie namentlich das Königtum in Verfall gerät und die aristokratischen Faktoren der Verfassung, geistliches und weltliches Fürstentum überhaupt die Oberhand gewinnen.

In den ersten Jahren Kaiser Heinrichs IV. und so lange er unter der Vormundschaft erst seiner Mutter, der Kaiserin, dann einzelner Fürsten steht, ist Gottfried vorzugsweise in Italien tätig: belehnt mit dem Herzogtum Spoleto und den dazu gehörigen markgräflichen Rechten, welche unmittelbar vor ihm Papst Victor II. bis zu seinem Tod am 28. Juli 1057 vom Kaiser zu Lehen gehabt hat, ist Gottfried in dieser Zeit vor allem als italienischer Reichsfürst bedeutend. Insbesondere nimmt er lebhaften und vielfach maßgebenden Anteil an den römischen Vorgängen, an der hierarchisch-dynastischen Politik seines Bruders, des Kardinals Friedrich, der am 2. August 1057 an Stelle Victors zum Papst gewählt und als solcher Stephan X. genannt, seinerseits in Bezug auf Gottfried die weitgehendsten Pläne verfolgt, unter anderem ihm die Kaiserkrone zugedacht haben soll, ferner nachdem Stephan schon am 29. März 1058 gestorben ist, beteiligt sich Gottfried an der Neubesetzung des Papsttums, an der Verdrängung Benedikts X., der lediglich ein Parteihaupt, nur die alten Faktionen der Crescentier und Tuskulaner für sich hat, und an der Erhebung des Bischofs Gerhard von Florenz.

Nächst dem Einfluss des damals schon mächtigen Kardinals Hildebrand, des späteren Gregors VII., hat Gerhard als Papst Nikolaus II. sein Emporkommen wie seine Erfolge hauptsächlich dem Beistand Gottfrieds zu verdanken, wofür diesem in einem Kampf, den er mit der widerspänstigen Stadt Ancona zu bestehen hat, die Unterstützung des Papstes zu Teil wird.

Auch während des Schisma, welches nach dem Tod von Papst Nicolaus II. (gest. am 27. Juli 1061) zwischen den beiden Parteihäuptern Alexander II. (Anselm von Lucca) und Honorius II. (Cadalus von Parma) ausbricht, behauptet sich Gottfried zunächst als vorwaltender Machthaber in den römisch-italienischen Verhältnissen. Geradezu epochemachend wird sein Eingreifen im Jahre 1062, als beide Prätendenten mit den Waffen in der Hand sich unmittelbar gegenüberstehen, in und um Rom mit einander Krieg führen. Da zieht auch Herzog Gottfried mit Heeresmacht vor Rom und nötigt beide Parteien nicht bloß die Feindseligkeiten einzustellen, sondern überhaupt ihren Streit nicht mehr eigenmächtig weiterzuführen, sich der Entscheidung des Reichsoberhauptes, des Königs Heinrichs IV. zu unterwerfen. Erst seitdem sucht auch Alexander II. seine Ansprüche nur in Verbindung mit dem deutschen Hof und mit Unterstützung des deutschen Episkopats durchzusetzen. Dies geschieht auf einem Konzil, welches Ende Mai 1064 zu Mantua, einer der Hauptstädte des markgräflichen Hauses von Canossa stattfindet und in Gegenwart Gottfrieds, höchst wahrscheinlich auch in Übereinstimmung mit dessen Absichten seine für Alexander II. so günstigen Beschlüsse fasst. Damit kommen Gottfrieds Einwirkungen auf Italien vorläufig zum Abschluss.

Ende des Jahres 1064 begibt er sich über die Alpen, um längere Zeit in Deutschland zu verweilen, dem jungen König, dem bei seiner Wehrhaftmachung Ende 1065 Gottfried als Schildträger zugewiesen wurde, nahe zu sein und als Laienfürst neben so hohen Prälaten, wie es die Erzbischöfe Anno von Köln und Adalbert von Hamburg-Bremen sind, an der Reichsregierung persönlich Anteil zu nehmen. Auch sein dynastisches Interesse wird noch einmal in einer Weise befriedigt, die wie eine Genugtuung für die früher erlittenen Unfälle und Niederlagen erscheint.

Als Herzog Friedrich von Niederlothringen am 28. August 1065 stirbt, wird Gottfried der Nachfolger seines ehemaligen Nebenbuhlers und so im Besitz eben desjenigen Reichslehens, welches ursprünglich und so lange der vornehmste Gegenstand seines Ehrgeizes gewesen ist, nimmt er jetzt auch in Deutschland eine höchst bedeutende Stellung ein. Unter den weltlichen Fürsten des gesamten Reiches ist damals Niemand, der es mit ihm an Würden, Reichtum und Unabhängigkeit aufnehmen kann; unter den geistlichen Großen hat Gottfried nur wenige ebenbürtige Rivalen und was den jungen König Heinrich IV. betrifft, so macht dieser allerdings Versuche, sich dem Übergewicht des mächtigen Lothringers zu entziehen, aber vergeblich: nicht einmal eine Reichsheerfahrt, welche König Heinrich IV. vollständig gerüstet im Februar 1067 nach Italien antreten will, vermag er auszuführen, weil Gottfried ihm zuvorgekommen ist und es unternimmt, die wichtigste Angelegenheit, um die es sich damals handelt, die Verteidigung von Rom und ganz Mittel-Italien gegen einen Angriff der unteritalienischen Normannen auf eigene Hand zu ordnen.

An der Spitze eines Heeres, bei dem sich u. a. Papst Alexander II. befindet, tritt Gottfried im Mai 1067 den Normannen am Garigliano entgegen, er erntet jedoch wenig Ruhm, da er nach einem kleinen, in jeder Hinsicht unbedeutenden Treffen bei Aquino die Feindseligkeiten einstellt und mit dem Normannenfürsten Richard Frieden schließt. Es ist ein Abkommen, welches im Grunde Niemand befriedigt, wohl aber dem gegen Gottfried überall bestehenden Misstrauen neue Nahrung gibt. Besonders stark regt es sich diesmal in Rom bei Papst Alexander und den Kardinälen, welche überdies noch dadurch gereizt werden, dass Gottfried bald nach seiner normannischen Expedition eine Zusammenkunft mit dem Gegenpapst Cadalus hat. Wenig fehlt, so wäre er wie mit dem deutschen Königshof, so auch mit der römischen Kurie zerfallen. Den Bruch verhindert jedoch ein Akt der Unterwürfigkeit, wie sie Herzog Gottfried gegen die Kirche und die obersten Träger der Kirchengewalt auch schon früher gezeigt hat. So hatte er z. B. für das Unheil, welches er im Jahre 1047 den Kirchen und Klöstern von Verdun zufügte, öffentlich Buße getan, er hatte sich zu bedeutenden Opfern und Kasteiungen verstanden und diese hatten mehr als Waffentaten und weltliche Politik dazu beigetragen ihm die Zuneigung und Unterstützung der hohen Geistlichkeit zu erwerben, ihn zu einem Freund der Kirche im weitesten Sinne zu stempeln. Jetzt, wo diese Freundschaft zu zerreißen drohte, befestigte sie Gottfried wieder in ähnlicher Weise.

Dem Papst, der in seinem Unwissen und wahrscheinlich unter Berufung auf zu nahe Verwandtschaft die Ehe zwischen Gottfried und Beatrix getrennt hat, leistete er die verlangte Genugtuung: er verpflichtet sich aus den ihm und Beatrix gemeinschaftlichen Besitzungen ein Mönchskloster zu stiften, wie man annehmen darf, gegen Wiederaufhebung des Eheverbotes. Der Ort, den Gottfried für die Stiftung wählt, liegt in seiner lothringischen Heimat, es ist seine Burg Bouillon in den Ardennen, unweit des St. Hubertusklosters, später berühmt als Hauptburg Gottfrieds von Bouillon, des ersten Kreuzfahrers. Die Stiftung von St. Peter in Bouillon ist Herzog Gottfrieds letzte Tat.

Schon krank, als er nach Bouillon kommt um die vorbereitenden Akte in Person vorzunehmen, erholt er sich von dieser Krankheit nicht mehr, und erkennt selbst, dass es mit ihm zu Ende geht. Daher die Übergabe seines Schwertes an Theoderich, den Abt von St. Hubertus, zum Zeichen vollständiger Weltentsagung und die Übersiedelung von Bouillon nach Verdun, der Stadt seiner Väter. Hier stirbt Gottfried am 21. Dezember 1069, mit Hinterlassung von zwei Kindern, welche ihm Doda, seine erste Gemahlin geboren hat, eines Sohnes, Gottfried (des Buckligen), der dem Vater im Herzogtum von Niederlothringen folgt, und einer Tochter Ida, welche vermählt mit einem französischen Kronvasallen, mit dem Grafen Eustachius von Boulogne, die Mutter Gottfrieds von Bouillon, des Eroberers von Jerusalem, wird.

Die Ehe Gottfrieds mit Beatrix von Tuscien war kinderlos, indessen die fürstliche Macht, welche sich in dieser Verbindung verkörperte, auf ihr beruhte, blieb zunächst ungeteilt. Gottfried hatte rechtzeitig dafür gesorgt, dass Mathilde, die alleinige Erbtochter der Beatrix, die Gemahlin seines gleichnamigen Sohnes Gottfried wurde. Ihre Vermählung fiel ungefähr zusammen mit dem Tode des alten Herzogs. So endete in klösterlicher Zurückgezogenheit ein Fürst, der die längste Zeit seines Lebens hindurch nur seinen weltlichen Interessen nachgegangen war und indem er sie schließlich fast nach jeder Richtung hin befriedigte, nicht nur seiner Person und seiner Dynastie eine ungewöhnliche Bedeutung gab, sondern auch das deutsche Fürstentum als solches wesentlich förderte, seiner Erhebung über das Königtum mächtig Vorschub leistete. Auch die hierarchische Richtung, in der sich das deutsche Fürstentum unter Heinrich IV. zunächst und vorwiegend bewegte, ist ihm von Gottfried vorgezeichnet worden: er zuerst suchte und fand den Rückhalt, dessen er gegen die oberste Reichsgewalt, gegen das Kaisertum bedurfte, nicht mehr ausschließlich bei seinen Mitfürsten oder in Frankreich, sondern zugleich in dem kirchlichen Mittelpunkt des gesamten Abendlandes, in Rom bei der päpstlichen Kurie, und wenn andererseits das Papsttum später, als der große Prinzipienkampf mit Heinrich IV. entbrannte, die Mehrzahl der deutschen Fürsten verhältnißmäßig leicht auf seine Seite brachte, so wurde dieser Erfolg nur dadurch möglich, dass Gottfried ihm vorgearbeitet, dass schon er das Papsttum als die höchste Autorität über sich in geistlichen und in weltlichen Dingen anerkannt hatte. Kein Wunder daher, wenn die Beurteilung Gottfrieds in den zeitgenössischen Geschichtswerken vielfach schwankt und je nach dem Parteistandpunkte des betreffenden Autors günstig oder ungünstig ausfällt, wenn ihn hierarchisch, speziell päpstlich gesinnte Geschichtschreiber, z. B. Lambert von Hersfeld, Bernold von Konstanz, Bonitho von Sutri hochstellen und bewundern, während ihn der extremste Parteigänger des Kaisers, Benzo von Alba mit Schmähungen überhäuft.

Ein zusammenhängendes Lebensbild des Fürsten hat in der Zeit Niemand, weder Freund noch Feind, entworfen. Selbst in der nur wenig jüngeren Chronik des St. Hubertusklosters, in der man wegen des Zusammenhanges mit St. Peter von Bouillon am ehesten eine reiche Quelle erwarten durfte, ist nur das Ende Gottfrieds mit einiger Ausführlichkeit behandelt; sondern findet man auch hier nicht mehr als beiläufige Erwähnungen und abgerissenen Daten, wie sie ebenfalls in anderen Quellen, z. B. in der Bistumsgeschichte von Verdun, welche der Lütticher Laurentius im 12. Jahrhundert schrieb, mehr oder minder häufig vorkommen. Von Interesse ist eine kurze Charakteristik Gottfrieds in dem sog. Triumph des heiligen Remaklus, Kap. 11: eingekleidet in sallustische Phrasen, entbehrt sie doch nicht, wie Giesebrecht dargetan hat, der historischen Treue. Als Gottfrieds Wesen erscheint darin ein eigentümliches Gemisch von Ritterlichkeit und Verschlagenheit, wie es auch von anderen Zeitgenossen an ihm wahrgenommen wurde. Geradheit und Uneigennützigkeit werden ihm ausdrücklich abgesprochen. Das einschlägige urkundliche Material, dem auch einige Zuschriften des Kardinals Petrus Damiani an Gottfried, beziehungsweise an Gottfried und Beatrix beizuzählen sind, ist zerstreut: planmäßige Sammlung und regestenmäßige Bearbeitung wäre bei der großen, eminent reichsgeschichtlichen Bedeutung Gottfrieds wünschenswert. Beiträge liefern u. a. Calmet, Histoire de Lorraine Tome II (Nancy 1748), Preuves. Cosimo della Rena (e Camici), Serie degli antichi duchi e marchesi di Toscana, Firenze 1775 (Goffredo I. Duca e marchese di Toscana, di Lorena, di Spoleto); im registro dei documenti zahlreiche Urkunden.

Bibliographie

  • Clouët: Histoire de Verdun T. II p. 33 ff. p. 60–80
  • Giesebrecht: Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Bd. II. (Buch V, Cap. 9–14) und Bd. III (Buch VI, Cap. 1–7)
  • Jaerschkerski, F.: Godfried der Bärtige, 1. Teil (Gött. Dissertation 1867)
  • Jung: Herzog Gottfried der Bärtige (Marb. 1884)
  • Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909
  • Pannenborg, A.: Studien zur Geschichte der Herzogin Matilde von Canossa, Göttingen 1872. S.224 ff
  • Steindorff, E.: Allgemeine deutsche Biographie, Bd.: 9 (Leipzig, 1879)
  • Steindorff, E.: Jahrbuch des deutschen Reichs unter Heinrich III. Bd. I. S.201 f.

Quelle: E. Steindorff

Figuren des Mittelalters