Speer

Speere.

Speer (Spieß, Lanze), eine der allgemeinsten Angriffswaffen der Menschheit. Die Urform aller Spieße ist der einfach zugespitzte, eventuell vorn im Feuer gehärtete Stab. Derartige Urformen waren üblich in den metallosen Gebieten der Erde (Ozeanien, Australien, Tasmania, Amerika); aber auch im metallreichen Afrika gibt es bei den Wassiba am Westufer des Victoria Nyanza noch reine Holzspieße, ebenfalls bloß aus Holz bestehende sogen. Kampfstöcke sodann bei den Konde am Nordende des Nyassa. Die Weiterbildung zum Spieß mit abnehmbarer Klinge ist in den metallosen tropischen Erdteilen durch Aufsetzen von Bambus auf Holz (Melanesien), Hartholz auf Bambus (Neu-Irland), zugespitzter Tierknochen (Kasuar in Neuguinea, Eskimo) und geeigneter Tierhörner auf Holz (Nubien), schließlich aber und ganz allgemein durch Anfügen besonders zugespitzter Steinklingen auf den pflanzlichen Schaft erfolgt. Derartige Spieße mit Steinklingen finden sich noch heute auf den Admiralitätsinseln (Obsidian), in Australien, bei den Feuerländern, den Eskimos; sie sind ferner bis in jüngste Zeiten gebräuchlich gewesen bei den Polynesiern und anderen Naturvölkern; für die Steinzeit der Vorfahren der alt- und neuweltlichen Naturvölker sind sie geradezu charakteristisch (s. Steinzeit). Der Spieß mit angefügter Metallspitze stellt gegenüber dem wegen der Zerbrechlichkeit des Materials doch immerhin primitiven Steinklingenspieß einen gewaltigen Fortschritt dar. Kupferklingen werden bei den Wahumavöltkern und im südlichen Kongobecken noch heute getragen. Sonst ist in Afrika und bei den Naturvölkern Südasiens und Indonesiens der Spieß mit Eisenklinge ganz allgemein, desgleichen bei den asiatischen Arktikern.

Man kann Stoßspeere und Wurfspeere (-Spieße) unterscheiden. Schwerer Metallbeschlag, wie im Kongobecken und vielen Teilen Afrikas, oder große Länge und Schwere, wie in Indonesien und Ozeanien, zwingen zum Stoß; während die entgegengesetzten Eigenschaften auch den Wurf mit bloßer Hand gestatten. Der Assegai der Zulu ist ursprünglich Wurfspeer; erst seitdem der Zulufürst Tschaka um 1818 den Schaft verkürzen und versteifen ließ, ist er zum wirksameren Stoßspeer umgestaltet worden. In dieser Form haben ihn die meisten Völker Ostafrikas, bis mitten nach Deutsch-Ostafrika hinein, angenommen.

Zur Erhöhung der Durchschlagskraft und zur Vergrößerung der Anfangsgeschwindigkeit des Spießes haben viele Völker Schleudervorrichtungen zu Hilfe genommen, und zwar Wurfbretter (Wurfhölzer, wie in Australien, Deutsch-Neuguinea, in Teilen Mikronesiens, bei den Eskimos, auf den Aleuten, im alten und neuen Mexiko, im nördlichen Andengebiet, im Quellgebiet des Schingu in Südamerika u. a.) oder Wurfschlingen (Rollriemen; auf Neukaledonien, Neuseeland, im Hinterland von Togo [Kabre, Loso, Pama], bei den alten Griechen und Römern [amentum], in Nordeuropa während der Bronzezeit etc.).

Die letzten Weiterbildungen des Speers betreffen die Zahl und die raffiniertere Ausgestaltung der Klingen, die Anbringung von Widerhaken, die bei manchen Völkern (Betschuanen, oberer Nil, Engano) den Charakterzug der Waffe ausmacht. Auf den Gilbertinseln und der Mattyinsel bestehen die Widerhaken aus angebundenen Haifischzähnen. Vorwiegend zu Jagd- und Fischereizwecken dienen die Speere mit mehreren Spitzen (Zweizack, Dreizack). Als Fischspeer ist ein derartiger Vielzack in allen Tropenländern verbreitet. Ablösbar oder biegsam ist schließlich die Klinge beim verbesserten Pilum der Römer und die Jagdlanze von Süd-Celebes. Die Harpune mit frei ablösbarer Klinge ist das Endglied dieser Entwicklung.

Der Speer, symbolisch das Zeichen der Macht, aus dem das Zepter hervorging, auch als Bezeichnung des Mannes als Krieger, diente bei den Germanen zum Stoß und Wurf (Wurfspeer) und bestand aus einer Holzstange zuerst ohne Klinge, dann mit 30–40 cm langer, breiter, zweischneidiger Eisenspitze. Um 600 n. Chr. wurde der Wurfspeer Ger genannt und war auch Waffe der Reiter. Die langobardischen Reiter waren berühmte Gerwerfer; das 841 bei Fontenay veranstaltete Speerrennen war der Ursprung der Hastiludien. Speer auch Pike, Sponton, Framea, Lanze.

Bibliographie

  • Jähns, M.: Entwicklungsgeschichte der alten Trutzwaffen (Berl. 1899)
  • Jähns, M.: Handbuch einer Geschichte des Kriegswesens von der Urzeit bis zur Renaissance (Leipz. 1880, mit Atlas)
  • Krause: Schleudervorrichtungen für Wurfwaffen (im »Internationalen Archiv für Ethnographie«, Bd. 15, Leiden 1902)
  • Luschan, v.: Wurfhölzer in Australien (in der Festschrift für A. Bastian, Berl. 1896)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

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