Fürstentum Waldeck

Waldeck (Waldeck-Pyrmont), zum Deutschen Reich gehöriges Fürstentum im nordwestlichen Deutschland, besteht aus dem eigentlichen Fürstentum Waldeck und dem Fürstentum Pyrmont (s. d.), welche Teile durch fremdherrliches Gebiet getrennt sind. Das Fürstentum Waldeck liegt zwischen den preußischen Provinzen Westfalen und Hessen-Nassau, das Fürstentum Pyrmont zwischen Lippe, der Provinz Hannover, Braunschweig und Westfalen. Das Fürstentum Waldeck wird von Teilen des rheinisch-westfälischen Schiefergebirges durchzogen und gehört zu den am höchsten gelegenen Landstrichen zwischen Rhein und Weser. Die höchsten Punkte sind: der Hegekopf bei Stryck (846 m), der Ettelsberg (834 m) und der Pön (799 m) bei Usseln. Nach Südosten hin sinkt das Gebirge ab und erreicht hier im Kreis der Eder nur noch die Höhe von 600 m.

Das Fürstentum Pyrmont besteht aus einem reizenden, vom westlichen Wesergebirge umschlossenen Tal und erhebt sich in seinen höchsten Punkten nur bis zu 375 m ü. M., während die tiefsten Punkte 75 m hoch liegen. Die Flüsse gehören zum Gebiet der Weser, nämlich im Fürstentum Waldeck die Eder mit der Werbe, Itter und Aar, die Diemel mit der Twiste, im Fürstentum Pyrmont die Emmer. Mineralquellen sind in Niederwildungen und Pyrmont (s. d.). Das Klima ist ziemlich rau, aber gesund; die mittlere Jahrestemperatur wird zu 7–9° angegeben. Das Fürstentum Waldeck hat bei einem Flächeninhalt von 1121 km² (20,36 mi²) 1905: 59,127 Einwohner (52,7 auf 1 km²); das eigentliche Fürstentum Waldeck zerfällt in die drei Kreise der Twiste, des Eisenberges und der Eder und hat 1055 km² (19,17 mi²) Flächeninhalt und 49.965 Einwohner; Pyrmont bildet einen Kreis und zählt auf 66 km² (1,19 mi²) 9162 Einwohner. Die Bevölkerung, die in 14 Städten und 107 Dörfern wohnt, gehört nördlich von der Eder zum niedersächsischen, südlich davon zum fränkischen Volksstamm und bekennt sich größtenteils zur evangelischen Kirche. Die Zahl der Katholiken beträgt (1905) 1890, der sonstigen Christen 259, darunter Quäker, Baptisten, Nazarener und Irvingianer. Die Zahl der Juden beträgt 629, Reichsausländer sind 197. An Bildungsanstalten bestehen: ein Landesgymnasium zu Korbach, ein Realprogymnasium zu Arolsen, eine Realschule in Niederwildungen, 123 öffentliche Stadt- und Landschulen.

Was die physische Kultur Waldecks anlangt, so entfallen von der gesamten Bodenfläche (1900) 42,84 Proz. auf Äcker und Gärten, 7,93 auf Wiesen, 6,74 auf Weiden, 38,18 Proz. auf Waldungen. Mit Land- und Forstwirtschaft beschäftigten sich nach der Berufszählung von 1895: 53,5 Proz. der Erwerbstätigen. Hauptprodukte des Ackerbaues sind: Hafer, Roggen, Kartoffeln und Futterkräuter; geringer ist der Ertrag an Weizen und besonders an Gerste sowie an Ölgewächsen und Lein. Obst wird besonders in der Edergegend gebaut und von da auch ausgeführt, Apfel- und Pflaumenbäume herrschen vor, die Zahl der Kirschbäume ist auffallend gering. Die Viehzucht ist nicht unerheblich. Man zählte 1904 im ganzen Lande 6838 Pferde, 31.159 Stück Rindvieh, 28.440 Schafe, 42.457 Schweine, 8895 Ziegen und 3553 Bienenstöcke. Beide Fürstentümer haben gute und ausgedehnte Waldungen (meist Hochwald), die zusammen 42.795 Hektar betragen; davon sind 69,8 Proz. Laubholz, 30,2 Nadelholz, 62,5 Domanialforsten, 21,5 Gemeinde- und 13,7 Proz. Privatforsten. Der früher ziemlich lebhaft betriebene Bergbau auf Eisen- und Kupfererze (in der Eder wurde auch Gold gewaschen) hat seit längerer Zeit bedeutend abgenommen. 1905 wurden 27.918 Ton. Eisenerze gefördert, außerdem etwas Gips und Dachschiefer. Die wenigen Eisenhütten stehen zurzeit still. Auch sonst ist die industrielle Tätigkeit noch unerheblich. Der Besuch der Bäder Pyrmont und Niederwildungen hat sich sehr gehoben, namentlich auch die Ausfuhr des Wildunger Wassers (1904: 1,4 Mill. Flaschen). Zwei Sekundärbahnen: Wabern–Wildungen und Warburg–Arolsen–Korbach–Sarnau, durchziehen das Fürstentum Waldeck; das Fürstentum Pyrmont wird auf einer kurzen Strecke von der Hannover–Altenbekener Bahn berührt.

Beide Fürstentümer haben eine eingeschränkt monarchische Verfassung, die auf der Verfassungsurkunde vom 17. Aug. 1852 beruht. Der Fürst, gegenwärtig Friedrich Adolf Hermann (seit 12. Mai 1893), hat die innere Verwaltung dem König von Preußen überlassen (s. unten) und sich nur die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten vorbehalten. Die Regierung ist erblich im Mannesstamm des waldeckschen Fürstenhauses, einschließlich der gräflichen Linie desselben, nach dem Recht der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge; beim Erlöschen des Mannesstammes geht im eigentlichen Fürstentum Waldeck die Regierung auf die weibliche Linie über, während im Fürstentum Pyrmont Preußen sukzediert. Der Fürst wird mit vollendetem 21. Jahr volljährig. Das fürstliche Haus bekennt sich zur evangelischen Kirche. Das Domanialvermögen ist seit dem Akzessionsvertrag mit Preußen ausschließlich zum Unterhalt des Fürsten und des fürstlichen Hauses bestimmt. Für die vereinigten Fürstentümer besteht ein gemeinsamer Landtag aus zwölf Abgeordneten von Waldeck und drei von Pyrmont. Zum Abgeordneten ist jeder männliche Staatsangehörige wählbar, der das 30. Lebensjahr zurückgelegt hat und mindestens 2 Jahre dem Staat angehört. Die Urwähler müssen 25 Jahre alt sein; Wahlmänner und Abgeordnete werden auf drei Jahre gewählt. Die Leitung der Staatsverwaltung ist für die Dauer des mit Preußen abgeschlossenen Akzessionsvertrages vom 18. Juli 1867 dem Landesdirektor übertragen, den wie sämtliche Staatsbeamte der König von Preußen ernennt. Die Kreisverwaltung wird nach der Kreisordnung vom 16. Aug. 1855 besorgt von Kreisamtmännern in den vier Kreisen mit einer Kreisvertretung (Kreisvorständen), bestehend aus sechs Abgeordneten der Kreisgemeinden, die durch die von den Gemeinderäten der Ortsgemeinden erwählten Wahlmänner gewählt werden. Die Gemeindeordnung statuiert in allen Gemeinden Bürgermeister und Beigeordnete, die vom Gemeinderat auf sechs Jahre gewählt und von der Regierung bestätigt werden, und Gemeinderäte, deren Mitglieder von den 25jährigen, auf Grund des Zensus wahlberechtigten Gemeindegliedern nach der Dreiklasseneinteilung gewählt werden. Oberste geistliche Behörde für die evangelische Landeskirche ist das Konsistorium, unter dem vier Superintendenten stehen. Die höchste richterliche Instanz für Waldeck bildet das Oberlandesgericht in Kassel und für Pyrmont das Oberlandesgericht in Celle. Dort sind die drei Amtsgerichte Arolsen, Korbach und Niederwildungen dem Bezirk des Landgerichts Kassel, hier das Amtsgericht Pyrmont dem Bezirk des Landgerichts Hannover zugeteilt. Der Staatshaushaltsetat für 1907 ergibt in Einnahme und Ausgabe je 1.357.442 Mk. Die Landesschulden des Fürstentums Waldeck betrugen 1906: 1.716.300 Mk. In betreff des Militärs bestanden schon vor Gründung des Norddeutschen Bundes eine Konvention mit Preußen und das preußische Ergänzungssystem mit allgemeiner Wehrpflicht. Weitere Militärkonventionen mit Preußen sind 6. Aug. 1867 und 24. Nov. 1877 abgeschlossen worden. Im Bundesrat ist Waldeck durch einen Bundesbevollmächtigten, im Reichstag durch einen Abgeordneten vertreten. Das Wappen s. Tafel »Wappen I«, Beschreibung auf dem Textblatt. Die Landesfarben sind Schwarz, Rot und Gelb. An Orden bestehen ein Verdienstkreuz in vier Klassen, zwei Verdienstmedaillen (s. die Tafeln »Verdienstkreuze«, Fig. 6 und 7, und »Verdienstmedaillen«, Fig. 13) und ein Militärverdienstkreuz für Offiziere (seit 1854). Residenz ist Arolsen.

Geschichte

Das ehemals gräfliche Haus Waldeck stammt von den Grafen von Schwalenberg ab, unter denen Widukind und sein Bruder Hermann um 1189 als Grafen von Waldeck bezeichnet werden. Von ihren Neffen begründete Volkwin eine neue Linie Schwalenberg, der andere, Adolf (1214–70), setzte den Zweig Waldeck fort. Mittelpunkt der Grafschaft war das Gericht Waldeck in Hessen, das die Stadt und Burg Waldeck, Sachsenhausen, Bergheim u. a. O. umfasste. Die Grafschaft Pyrmont wurde erst 1631 von Waldeck erworben, als die Grafen von Gleichen, die Erben der Grafen von Pyrmont, ausstarben. Graf Adolf ist der Stammherr des jetzigen Hauses Waldeck, das 1349 reichsgräflich wurde; seine Besitzungen blieben ungeteilt bis 1397. Um diese Zeit starb Heinrich der Eiserne und dessen Söhne Adolf und Heinrich stifteten die beiden Linien Landau und Waldeck, von denen die erstere 1495 erlosch. Seit 1438 waren die Glieder beider Linien Lehnsträger des Hauses Hessen, bis dieses Verhältnis durch den Rheinbund faktisch und 1847 durch Schiedsspruch des Bundestags auch formell gelöst wurde. Nach vorübergehenden Teilungen stifteten 1607 Christian und Vollrath IV. die Linien Eisenberg und Wildungen. Die Grafschaft Wildungen fiel 1664 an den Grafen Georg Friedrich von Waldeck (s. Georg 28), der 1682 vom Kaiser Leopold I. gefürstet wurde, mit dem aber die Wildungische Linie 1692 erlosch, worauf die waldeckschen Besitzungen an Christian Ludwig von der Eisenberger Linie fielen, in der seit 1687 das Erstgeburtsrecht galt. Der Sohn Christian Ludwigs (gest. 1706), Graf Friedrich Anton Ulrich, wurde 1712 vom Kaiser Karl VI. in den Reichsfürstenstand erhoben. Sein jüngerer Bruder, Josias (gest. 1763), stiftete die Linie der Grafen von Waldeck zu Bergheim, deren Haupt jetzt Graf Adalbert (geb. 6. Jan. 1863) ist. Auf Friedrich Anton Ulrich (gest. 1728) folgten nacheinander seine beiden Söhne Christian Philipp (gest. 1728) und Karl August Friedrich (gest. 1763), welch letzterer als österreichischer General am Österreichischen Erbfolgekrieg teilnahm. Sein ältester Sohn und Nachfolger, Friedrich, erhielt 1803 eine Virilstimme im Reichsfürstenrat, überließ 1805 seinem jüngsten Bruder, Georg, die Grafschaft Pyrmont und trat 1807 dem Rheinbund bei. Friedrichs jüngerer Bruder, Christian August (gest. 1798), zeichnete sich als österreichischer Feldmarschall im ersten Koalitionskrieg aus. Da Friedrich 1812 kinderlos starb, folgte ihm sein Bruder Georg, wodurch Waldeck und Pyrmont wieder vereinigt wurden, und als dieser 1813 ebenfalls starb, ging die Regierung auf seinen ältesten Sohn, Georg Friedrich Heinrich (gest. 15. Mai 1845), über, der 1815 dem Deutschen Bund beitrat und 1814 eine neue, von den Ständen bekämpfte Verfassung einführte. Aus Beratungen mit Ritterschaft und Städten ging dann 19. April 1816 die neue Verfassung hervor, die bis 1848 Geltung behielt. Die Landesvertretung bestand fortan aus Vertretern der Ritterschaft, der Städte und Bauern, hatte Steuerbewilligungsrecht und Anteil an der Gesetzgebung. Die vollziehende Behörde der ständischen Beschlüsse war ein aus ihrer Mitte gewählter engerer Ausschuss, die landständische Deputation. 1832 schloss sich das Fürstentum dem Deutschen Zollverein an. Auf Fürst Georg folgte sein unmündiger Sohn, Georg Viktor (s. Georg 29), unter der Vormundschaft seiner Mutter Emma, Prinzessin von Anhalt-Bernburg-Schaumburg. 1848 trat ein konstituierender Landtag zusammen und beschloss das Grundgesetz vom 23. Mai 1849, das Verantwortlichkeit der Minister, Freiheit der Presse, Besteuerung der Kirchengüter etc. proklamierte. Fürst Georg Viktor, der am 14. Jan. 1852 volljährig wurde, erklärte, dass er die Regierung nicht übernehmen werde, solange die demokratische Verfassung von 1849 Gültigkeit habe. Deshalb legte die Regierung einem besonders einberufenen Revisionslandtag den Entwurf einer neuen Verfassungsurkunde vor, der am 17. Aug. 1852 veröffentlicht wurde. 1856 wurden wieder indirekte Klassenwahlen eingeführt. Am 1. Aug. 1862 wurde eine Militärkonvention mit Preußen geschlossen. Infolge der Ereignisse des Sommers 1866 ward auch Waldeck, das sich auf Preußens Seite gestellt hatte, ein Glied des Norddeutschen Bundes. Doch lehnte der Landtag die Bundesverfassung einstimmig ab, um den Fürsten zu einem Akzessionsvertrag mit Preußen zu drängen, da das Land die Kosten der neuen Verhältnisse nicht zu tragen vermochte. Dieser kam 18. Juli 1867 zustande, wurde 22. Okt. von der Landesvertretung genehmigt, galt zunächst auf 10 Jahre und wurde nach deren Ablauf 1877 und 1887 verlängert. Danach ging die Verwaltung des Landes vom 1. Jan. 1868 an Preußen über. Der Fürst behielt sich das Begnadigungsrecht, das Kirchenregiment und die Zustimmung bei der Gesetzgebung, die von der Abtretung der Verwaltung nicht berührt wird, vor. In Justiz- und Schulangelegenheiten ressortiert das Land von den preußischen Behörden in Kassel. Da der ganze Ertrag der Domänen dem Fürsten vorbehalten ist, trägt Preußen einen wesentlichen Teil der Verwaltungskosten. 1907 wurde ein Lotterievertrag zwischen Preußen und Waldeck abgeschlossen. Dem Fürsten Georg Viktor folgte 12. Mai 1893 sein ältester Sohn, Fürst Friedrich (geb. 20. Jan. 1865).

Bibliographie

  • »Beiträge zur Geschichte des Fürstentums Waldeck« (hrsg. von Curtze und Hahn, Arolsen 1864–74, Bd. 1–4, Heft 1)
  • »Geschichtsblätter für Waldeck und Pyrmont« (Mengeringhausen 1901 ff.)
  • Boettcher: Das Staatsrecht des Fürstentums Waldeck (Freiburg 1884)
  • Curtze: Geschichte und Beschreibung des Fürstentums Waldeck (Arolsen 1850)
  • Hoffmeister: Historisch-genealogisches Handbuch über alle Grafen und Fürsten von Waldeck und Pyrmont (Kassel 1883)
  • Löwe: Heimatskunde von Waldeck (Arolsen 1887)
  • Schultze, V.: Waldeckische Reformationsgeschichte (Leipz. 1902)
  • Wagner: Geschichte Waldecks und Pyrmonts (Wildungen 1888)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Historische Orte