Bogen
Bogen, eine Waffe zum Schießen von Pfeilen oder Kugeln. Der einfache Pfeilbogen (Fig. 1) ist ein elastischer, fester, in der Regel aus Holz oder Bambus, sehr selten aus Horn bestehender, 0,8 bis 3 m langer Bügel, dessen beide Enden mittels einer aus tierischer Sehne, Pflanzenfaser, Rottang etc. gefertigten Sehne straff miteinander verbunden sind. Er ist der ursprünglichste und auch heute noch am weitesten verbreitete Bogen; er war die einzige in Europa gebräuchliche Form, herrschte ursprünglich, mit je einer Ausnahme, in Afrika und Ozeanien und kam auch für den bei weitem größten Teil Amerikas allein in Betracht.
In der Regel aus vollem Holze derart hergestellt, dass beide Bogenhälften von gleicher Stärke sind, gibt es in Afrika, Neuguinea, auf den Andamanen und den Neuen Hebriden Bogen, die einfach aus einem Baumzweig bestehen, so dass das obere, dünnere Ende schwächer und biegsamer ist als das andere. Der Bogen der südlichen Andamanen (Fig. 2) besitzt die Gestalt eines zweiblätterigen Ruders. Ähnliche Formen kommen bei den Oregonindianern, am Schirefluss und am Nyassasee vor. Der zusammengesetzte Bogen (Fig. 3) ist ursprünglich auf Asien beschränkt; von Vorderasien ist er dann auch nach den Mittelmeerländern und Nordafrika übertragen worden.
Seinem Bau nach besteht er in jedem Fall aus einem Holzkern, der in der Gegend des Griffes rund, sehr dick und nahezu vollig starr ist, aber sich nach der Seite rasch abflacht und sehr dünn wird. An diesen Holzkern legen sich dann als andere, durch geeignete Manipulationen mit jenem innig verbundene Bestandteile: Sehnenfasern, Hornplatten oder -Stäbe, Holzplatten anderer Art, Bambus etc. Das Ganze wird mit Leder, bei den arktischen Völkern mit Birkenrinde umwickelt; die Japaner überziehen ihren zusammengesetzten Bogen aus drei Holzlängenstreifen, von denen der innerste hartes Holz, die beiden anderen, äußeren, Bambus sind, außerdem noch mit einem vortrefflichen Lacküberzug.
Bemerkenswert ist, dass die Größe des zusammengesetzten Bogens in Asien von Westen nach Osten zunimmt; am kleinsten ist der türkische, gleichzeitig ist er auch der wirksamste. Der größte ist der mächtige Bogen der Chinesen. Von den einfachen Bogen hat die geringste, nur etwa 80 cm betragende Länge der Bogen der Waldvölker des zentralafrikanischen Iturigebietes; dagegen erreichen die Bogen der Indianer am Rio Negro eine Länge von 3 m. Eine Ab- oder Unterart des zusammengesetzten Bogens ist der verstärkte Bogen. In der Hauptsache aus einem langen Stab bestehend, wird er durch Anfügen von dünnen Holzleisten, durch Anwickeln von Sehnen, Aufziehen von Ringen, Umwickeln mit Sehnen etc. elastischer und kräftiger gemacht. Solche verstärkte Bogen gibt es in Alaska, in Westpolynesien, auf Neuguinea und bei den Pygmäen am Kivusee in Afrika.
Eine in Hinsicht auf das Geschoss merkwürdige Abart des Bogens ist der Kugelbogen (Fig. 4 u. 5). Statt der Pfeile schleudert er taubeneigroße Tonkugeln nach dem Ziele (Vögeln und anderen kleinen Tieren). Er kommt in Hinterindien und dem nordöstlichen Südamerika vor und besteht entweder aus zwei, durch Stege verbundene Einzelbogen, zwischen denen das Geschoss dann durchfliegt (Fig. 4), oder einem einfachen Bogen, dessen Enden so gebogen sind, dass die Geschossebene seitlich zu der Handhabe vorbeiführt (Fig. 5).
Verschieden wie die Gestalt, der Bau und das Material der Bogen ist ihre Spannweise. Meist ist sie so straff, dass beim Schuss die vorschnellende Sehne die linke Hand nicht berührt; in anderen Fällen würde sie diese indes empfindlich treffen, wenn nicht Schutzmaßregeln getroffen würden. Derartige Hand- und Armschutzapparate haben die Form von Platten, Riegeln, Ringspiralen, Kissen, Binden etc. Platten aus Stein, Knochen oder gebranntem Ton sind schon aus vorgeschichtlicher Zeit bekannt; von heutigen Naturvölkern führen derartige Schutzapparate verschiedene Völker Afrikas (Warundi, Obernilvölker, Waldvölker am Ituri, die Wute in Kamerun, die Salomoninsulaner u. a.).
Fast alle alten Völker, Assyrer, Indier, Kreter, Numidier, Skythen (Fig. 6), führten den Bogen. In den Heeren der Perser und Karthager gab es viele Bogenschützen.
Bei den Griechen, die kunstvoll gearbeitete Bogen aus Antilopengehörn besaßen (Fig. 7), waren, wie bei den Römern, die Schützen nicht besonders geachtet, sondern man überließ diese Kampfweise gern geworbenen Hilfsvölkern. Später machte Mohammed den Gebrauch des Bogens zur Religionspflicht, und Türken, Perser, Araber stellten vorzügliche Schützen; auch Hunnen und Mongolen (russisch-tscherkessische Truppen noch 1813) führten den Bogen, dagegen benutzten die Germanen ihn fast nur zur Jagd und ungern im Kriege, wo sie lieber das Wurfbeil und den Wurfspieß brauchten. Erst im Mittelalter kommt er hier mehr in Gebrauch, besonders die englischen »Bogner«, die Flanderer, Burgunder etc. (vgl. Archers) waren sehr berühmt. Der englische Bogen war 180, der deutsche 120, der italienische 150 cm lang, erstere beiden meist von Eibenholz, letzterer von Stahl gefertigt. Zur Aufnahme der bis 100 cm langen Pfeile (vgl. Pfeil und Pfeilgift) diente der an der rechten Schulter oder am Gürtel getragene Köcher (Fig. 8 u. 9).
Als Sport wird das Bogenschießen heute noch in England, Frankreich, Belgien und besonders in der Schweiz betrieben. Als höchste Schussweite werden für den Bogen angegeben aus dem Altertum 500 m, aus Sportkreisen der Neuzeit 800 m.
Bibliographie
- Adler, B.: Die Bogen Nordasiens (»Internationales Archiv für Ethnographie«, Bd. 15, 1902)
- Boeheim: Bogen und Armbrust (»Zeitschrift für historische Waffenkunde«, Bd. 1, 1898)
- Demmin: Die Kriegswaffen in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Leipz. 1893)
- Hansard: The book of archery (Lond. 1845)
- Jähns: Entwicklungsgeschichte der alten Trutzwaffen (Berl. 1899)
- Longman und Walrond: Archery (Lond. 1894)
- Luschan, v.: Über den antiken Bogen (Benndorf-Festschrift 1898)
- Luschan, v.: Zusammengesetzte und verstärkte Bögen (»Zeitschrift für Ethnologie«, 1899)
- Mason: North American Bows (»Reports Smithsonian Institution«, 1894)
- Meyer, Herrm.: Bogen und Pfeil in Zentralbrasilien (Leipz. 1895)
- Ratzel: Die afrikanischen Bogen, ihre Verbreitung und Verwandtschaft (»Abhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften«, Leipz. 1891)
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909