Hildesheim

Hildesheim, (neulat. Hildesia), Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks (s. unten) in der [ehem.] preußischen Provinz Hannover und Stadtkreis, an der Innerste, 89 m ü. M., besteht aus der Altstadt und Neustadt, die seit 1583 zu einem Gemeinwesen vereinigt sind, und der sogen. Freiheit (Residenz des Bischofs). Der uralte Ort enthält im Innern noch viele enge und winklige Straßen, besetzt mit altertümlichen Häusern, deren obere Stockwerke überragen und mit Erkern und reichem Schnitzwerk versehen sind. Unter den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Gebäuden (vier evangelische und fünf katholische Kirchen und eine Synagoge) behauptet der katholische Dom, ein 62 m langes, 30 m breites Gebäude, die erste Stelle. Der Grundbau stammt aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, hat aber später manche Veränderung erfahren. Neuerdings sind die Innenwände restauriert und farbig ausgemalt worden. Besonderes Interesse gewähren die aus dem frühesten Mittelalter stammenden Kirchengeräte (Domschatz), die eheren Torflügel (von 1015) mit Reliefs vom Bischof Bernward (s. d.) aus der Geschichte der ersten Menschen (s. Tafel »Bildhauerkunst VII«, Fig.2) und Jesu Christi, ein ehernes Taufbecken aus dem 13. Jahrhundert, zwei romanische Reliquienkasten des heil. Godehard und des heil. Epiphanius und zwei große Kronleuchter aus dem 11. Jahrhundert. Die etwas unansehnlichen Türme tragen ein herrliches Geläut. Vor dem Aufgang zum Chor steht die sogen. Irmensäule, und an der Außenwand der Grabkapelle breitet der berühmte tausendjährige Rosestock, 8 m hoch und 10 m weit, seine Zweige aus (vgl. darüber die Schriften von Römer, Hildesh. 1892, und Bank, das. 1904); den inneren Friedhof umgibt ein romanischer Kreuzgang. In einem Seitenraum endlich (früher auf dem Domhof) erhebt sich die 4 m hohe Christussäule (von 1022) aus Erzguss, auf der die Geschichte Christi dargestellt ist (vgl. Wiecker, Die Christus- oder Bernwardsäule, Hildesh. 1874). Auf dem Domhof befindet sich das Standbild des Bischofs Bernward, von Hartzer. Von den übrigen Kirchen verdienen Erwähnung: die St. Godehardikirche (1133–72 erbaut, 1863 restauriert), ein Meisterwerk romanischen Stils mit drei pyramidenförmigen Türmen; dann die Michaeliskirche, eine großartige romanische Basilika mit einer kürzlich hergestellten, das Grab des Bischofs Bernward enthaltenden Unterkirche und einer kunstvoll bemalten Holzdecke aus dem 12. Jahrhundert; die Magdalenenkirche mit zwei kostbaren Leuchtern aus Bernwards Werkstatt und dem sogen. Bernwardskreuz; die Martinikirche, die das städtische Museum enthält; die Andreaskirche, die Hauptkirche der Evangelischen, ist mit einem 118 m hohen Turm versehen. Andere ausgezeichnete Gebäude sind: das alte angebliche Tempelherrenhaus, das Rathaus (um 1440 erbaut), mit einer Halle, die durch Hermann Prell mit Freskomalerei aus der Geschichte Hildesheims geziert ist, davor ein schöner Springbrunnen, das frühere Trinitatishospitalgebäude, das Michaeliskloster (jetzt als Irrenanstalt benutzt), die alte Kartause, das Knochenhaueramthaus von 1529, überaus reich an plastischem Schmuck, das Wedekindsche Haus von 1598, das Rolandshospital von 1611, das Kaiserhaus von 1586, der Wiener Hof von 1609, die Neustädter Schenke von 1550 und viele andere reich geschmückte Fachwerkhäuser. Außer dem Bernwarddenkmal hat die Stadt noch ein Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (modelliert von Professor Lessing) und ein Denkmal des Senators Römer.
Die Zahl der Einwohner beläuft sich (1900) mit der Garnison (Infanterie-Regiment Nr. 79) auf 42.973 Seelen, davon 14.236 Katholiken und 617 Juden. Hildesheim hat eine Zuckerraffinerie, Gummiwarenfabrik, Eisengießerei, bedeutende Konservenfabrik, Mühlsteinfabrikation und Steinhauerei, Fabrikation von Öfen, Kochherden, Maschinen, Wagen, Turmuhren, Hohlglas, Wasserglas, Tapeten, Malz, Schokolade, Tabak, Zigarren etc., Glockengießerei, Lohgerberei, Bierbrauerei und zwei Kunstmühlen. Ein Elektrizitätswerk ist im Bau. Der Handel, unterstützt durch eine Handelskammer, eine Produktenbörse sowie durch eine Reichsbanknebenstelle etc., befasst sich außer den dort gewonnenen Fabrikaten vorzugsweise mit Zucker, Getreide, künstlichen Düngemitteln und anderen Erzeugnissen der Landwirtschaft. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Bahn. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Braunschweig–Löhne und Lehrte–Grauhof sowie der Hildesheim–Peiner Kreisbahn. An Bildungs- und sonstigen Anstalten befinden sich dort: ein evangelisches und ein katholisches Gymnasium, ein Realgymnasium, eine landwirtschaftliche Versuchsstation, eine Landwirtschaftsschule mit Ackerbauschule, ein städtisches Museum (Römermuseum) mit wertvollen Sammlungen, das Andreasmuseum, besonders für Architektur, Konservatorium für Musik, Taubstummenanstalt, Irrenanstalt, zwei Waisenhäuser, Rettungshaus, drei Damenstifter, ein Kloster der Barmherzigen Schwestern etc. Hildesheim ist Sitz der königlichen Regierung für den Regierungsbezirk Hildesheim und den Kreis Marienburg in Hannover, eines Landgerichts, Hauptsteueramts, einer Spezialkommission, eines Generalsuperintendenten, eines Bischofs, Domkapitels und Generalvikariats. Die städtischen Behörden zählen acht Magistratsmitglieder und 18 Stadtverordnete. Zum Landgerichtsbezirk Hildesheim gehören die elf Amtsgerichte zu Alfeld, Bockenem, Burgdorf, Elze, Fallersleben, Gifhorn, Goslar, Hildesheim, Liebenburg, Meinersen, und Peine. Im Westen von Hildesheim liegt auf einer Anhöhe das ehemalige Kollegiatstift St. Moritz (um 1504 gegründet, 1810 aufgehoben); im Osten lag das Stift St. Bartholomäus zur Sülte (1147 errichtet, 1802 aufgehoben); im Süden liegen das Gut Söder, mit einem Schloss, und Ottbergen, ein Wallfahrtsort. Vgl. Hildesheimer Weihnachtsmarkt.












Hildesheim entwickelte sich erst mit der Verlegung des Bistums von Elze hierher (s. oben). Bischof Bernward (gest. 1022) ummauerte die Stadt. Handel und Gewerbe gediehen daselbst; namentlich waren die Hildesheimer Goldschmiedearbeiten bis zum Ende des Mittelalters hochberühmt. Daneben wurden Künste und Wissenschaften gepflegt, und zahlreiche Fürstensöhne (darunter die Kaiser Otto III. und Heinrich II.) sind auf der Domschule von Hildesheim erzogen worden. 1249 erhielt Hildesheim vom Bischof eine schriftliche Aufzeichnung des Stadtrechts und trat später der Hanse bei. Hildesheim lag, zuweilen von den Welfen unterstützt, mit seinen Bischöfen häufig in Fehde und schloss seit dem 14. Jahrhundert wiederholt Schutzbündnisse mit dem Haus Braunschweig-Lüneburg. Die Hildesheimer Stiftsfehde (s. Bistum Hildesheim) brachte mit dem Stift auch die Stadt in die Acht, doch schlug sie 1522 den Angriff der Herzoge von Braunschweig ab. 1542 ward in derselben die Reformation eingeführt; am 10. Oktober 1632 wurde sie von den Kaiserlichen unter Pappenheim eingenommen, doch erhielt durch die Kapitulation vom Juli 1634 die protestantische Partei wieder die Oberhand. 1802 kam die Stadt an Preußen, 1807 ans Königreich Westphalen, 1813 an Hannover und 1866 mit dem Königreich Hannover abermals an Preußen.
Bibliographie
- »Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim«, hrsg. von Janicke und Hoogeweg (Hannov. 1896–1903, Bd. 1–3, bis 1310)
- Führer durch Hildesheim von Behr (6. Aufl. 1902), Cassel (5. Aufl. 1903), Moormann (7. Aufl 1904)
- Bauer: Geschichte von Hildesheim (Hildesh. 1891)
- Bertram: Geschichte des Bistums Hildesheim (Hildesh. 1899 ff., 2 Bde.)
- Bertram: Die Bischöfe von Hildesheim (Denkmäler und Geschichte, Hildesh. 1896)
- Cuno: Hildesheimer Künstler und Kunsthandwerker im Mittelalter (Hildesh. 1886)
- Delius: Die Hildesheimische Stiftsfehde des Jahres 1519 (Leipz. 1803)
- Döbner: Urkundenbuch der Stadt Hildesheim (Hildesh. 1880–1901, Bd. 1–8, bis 1597 reichend)
- Döbner: Studien zur Hildesheimischen Geschichte (Hildesh. 1902)
- Lachner: Die Holzarchitektur Hildesheims (Hildesh. 1882)
- Lüntzel: Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim (Hildesh. 1858, 2 Bde.)
- Mithoff: Kunstdenkmale und Altertümer im Hannoverschen, Bd. 3: Fürstentum Hildesheim (Hannov. 1874)
- Römer: Geologische Verhältnisse der Stadt Hildesheim etc. (Berl. 1883)
- Seifart. Sagen, Märchen, Schwänke und Gebräuche aus Stadt und Stift Hildesheim (2. Aufl., Hildesh. 1889)
- Wachsmuth, W.: Geschichte von Hochstift und Stadt Hildesheim (Hildesh. 1863)
Der Regierungsbezirk Hildesheim (s. Karte »Hannover«), 5352 km² (97,20 mi²) groß, zählt (1900) 526.758 Einwohner (98 auf 1 km²), davon 437.299 Evangelische, 85.657 Katholiken und 2697 Juden, und besteht aus den 17 Kreisen:
Kreise | km² | mi² | Einwohner | auf 1 km² |
---|---|---|---|---|
Alfeld | 281 | 5,10 | 25.819 | 92 |
Duderstadt | 224 | 4,07 | 24.963 | 111 |
Einbeck | 310 | 5,63 | 25.136 | 81 |
Goslar | 430 | 7,81 | 50.051 | 116 |
Göttingen (Stadt) | 26 | 0,47 | 30.234 | 1163 |
Göttingen (Land) | 481 | 8,74 | 33.261 | 69 |
Gronau | 206 | 3,74 | 19.483 | 95 |
Hildesheim (Stadt) | 16 | 0,29 | 42.973 | 2686 |
Hildesheim (Land) | 234 | 4,25 | 25.837 | 110 |
Ilfeld | 273 | 4,96 | 15.827 | 58 |
Marienburg | 484 | 8,79 | 41.458 | 86 |
Münden | 328 | 5,96 | 24.667 | 75 |
Northeim | 399 | 7,25 | 30.848 | 77 |
Osterode a. Harz | 387 | 7,05 | 41.403 | 107 |
Peine | 386 | 7,01 | 46.682 | 121 |
Uslar | 349 | 6,34 | 18.524 | 53 |
Zellerfeld | 536 | 9,73 | 29.592 | 55 |
Über die betreffenden Reichstagswahlkreise des Regierungsbezirks s. Karte »Reichstagswahlen«.
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909