Kantonverfassung
Kantonverfassung (Kantonsystem), die von Friedrich Wilhelm I. durch das Reglement vom 1. Mai (15. Sept.) 1733 (Kantonreglement) eingeführte Militärverfassung, nach der das ganze Land in Kantone (Kreise) eingeteilt war, in denen jedem Infanterie- und Kavallerieregiment eine bestimmte Anzahl Feuerstellen zur Entnahme seines Rekrutenbedarfs zugewiesen war. Die anfänglich festgesetzte Zahl von 5000 Feuerstellen für ein Infanterie- und 1800 für ein Kavallerieregiment wurde später vermehrt. Im Frieden durften denselben jährlich 30, im Kriege 100 Mann entnommen werden. Durch die Kantonverfassung wurde bestimmt: Alle Einwohner des Landes sind verpflichtet, in dem Regiment zu dienen, zu dessen Kanton sie gehören. Ausgenommen waren Söhne der Edelleute, der vermögendsten Bürger, Predigersöhne, die Theologie studierten. Ländlichen Besitzern, Kolonisten etc. wurden Vergünstigungen, bzw. Befreiung von der Dienstpflicht zugebilligt, später auch der Woll- und Tuchfabrikation, um diese zu heben. Jeder im Kanton geborene Knabe wurde vom Pfarrer in eine Liste eingeschrieben und diese dem Regiment mitgeteilt. Mit dem 20. Lebensjahr wurde der Kantonpflichtige gemeinsam von Militär- und Zivilbehörden gemustert und zu lebenslänglicher, später 20jähriger Dienstpflicht ausgehoben. Später wurde auch Städte und Landesteile von hervorragender industrieller Tätigkeit von der Kantonpflichtigkeit befreit, z. B. Berlin, Potsdam, Breslau, Magdeburg etc. Bei Übergang zur allgemeinen Wehrpflicht wurden dann jene Befreiungen etc. aufgehoben. Ein ähnliches System war früher in Österreich und bis 1874 auch in Russland im Gebrauch. Vgl. Territorialsystem.
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909