Normandie
Normandie, ehemalige Provinz Frankreichs, grenzte gegen Norden und Westen an den Kanal, gegen Osten an die Pikardie und Île-de-France, gegen Süden an Orléanais, Maine und Bretagne und umfasste die Landschaften Pays de Caux, Bray, Vexin Normand, Roumois, Auge, Lieuvin, Marches, Houlme, Ouche, Campagne d‘Alençon, Bessin, Bocage, Campagne de Caen, Cotentin und Avranchin. Hauptstadt war Rouen. Das Gebiet der Normandie bilden jetzt die Departements Niederseine, Eure, Calvados, Orne und Manche, im ganzen 30.624 km² (556,2 mi²) mit (1901) 2.416.766 Einwohnern.
Geschichte
Die nach den Normannen benannte Landschaft war früher von vielen kleinen gallischen Stämmen bewohnt und bildete zur Römerzeit einen Teil von Gallia Lugdunensis secunda. Nachdem sie im 5. Jahrhundert von den Franken erobert worden, machte sie unter den merowingischen Königen einen Teil von Neustrien aus. Bei der Teilung des fränkischen Reiches unter die Söhne Ludwigs des Frommen kam sie an Karl den Kahlen. Um sich vor den Einfällen der Normannen zu sichern, die sich in der Normandie festgesetzt hatten, gab Karl der Einfältige 911 ihrem Herzog Rollo (Robert I.) das Land von der Epte bis zum Meer als Herzogtum nebst der Lehnshoheit über die Bretagne. Sein Enkel Richard I. (seit 942) nahm eine tatsächlich unabhängige Stellung ein, und dessen Sohn Richard II. (seit 996) schlug 1003 einen Einfall der Engländer zurück. Dessen unehelicher Enkel Wilhelm II., der Eroberer (seit 1035), segelte 1066 als Erbe König Eduards des Bekenners nach England, schlug den angelsächsischen König Harald 14. Okt. 1066 bei Hastings und ließ sich auf dem Schlachtfeld zum König von England ausrufen. Nach seinem Tod (1087) folgte ihm sein ältester Sohn, Robert II, in der Normandie nach. Als dieser aber nach seiner Rückkehr aus Palästina seinem jüngeren Bruder, Heinrich I., die englische Krone streitig machte, fiel letzterer 1106 in die Normandie ein, besiegte Robert bei Tinchebrai, führte ihn in die Gefangenschaft und vereinigte die Normandie mit England. Nach Heinrichs I. Tode (1135) folgte ihm der Gemahl seiner einzigen Tochter Mathilde, Gottfried Plantagenet, Graf von Anjou, als Herzog der Normandie. Ihm folgte 1150 sein Sohn Heinrich II. erst in der Normandie, dann 1154 auch in England. Als sein jüngster Sohn, Johann ohne Land, nach dem Tod seiner Brüder, Richards I. und Gottfrieds von Bretagne, des letzteren Sohn Arthur aus dem Besitz des Herzogtums Normandie verdrängte und ermorden ließ, erhob der französische König Philipp August auf dasselbe als auf ein verwirktes französisches Lehen Anspruch und eroberte es 1204. Heinrich III. trat 1259 die Normandie förmlich an Ludwig den Heiligen von Frankreich ab. Am 19. März 1315 gab Ludwig X. der Normandie einen Freiheitsbrief (Charte normande, Ch. aux Normands), wonach das Herzogtum seine eigene Gerichtsbarkeit und Rechtsverfassung behalten sollte. In der ersten Zeit des Besitzes hießen die Thronerben von Frankreich Herzoge von der Normandie, welcher Titel nachher durch den Titel Dauphin verdrängt wurde.
Am D-Day, dem 06. Juni 1944, landeten in der Normandie allierte Truppen an den Stränden „Utah“, „Omaha“, „Gold“, „Juno“, und „Sword“. In der Nacht waren bereits US-amerikanische Fallschirmjäger der 82. und 101. Luftlandedivision westlich von Utah Beach abgesetzt worden, britische Fallschirmjäger der 6. Luftlandedivision hatten die Übergänge über den Caen-Kanal und die Orne genommen, fünf Brücken über die Dives impraktikabel gemacht und die Merville-Batterie oberhalb Sword Beach zerstört. Bereits am 05. Juni wurden in der Bretagne Freie französische Fallschirmjäger und britische SAS-Soldaten zu Raids abgesetzt mit dem Ziel, die Kommunikationen der Wehrmacht Richtung Normandie durch Hinterhalte zu unterbrechen (Operationen Dingson, Samwest, und Cooney).
Bibliographie
- »Revue normande«
- »Mémoires de la Société des antiquaires de Normandie«
- »Géographie pittoresque et monumentale de la France«, Heft 4: La Normandie (Niort 1900)
- Barthélemy: Histoire de la Normandie ancienne et moderne (neue Aufl., Tours 1862)
- Baudrillart: Les populations agricoles de la France. La Normandie (Par. 1880)
- Frère: La Normandie (Rouen 1870)
- Girard: La Normandie maritime (Niort 1899)
- Le Héricher, Édouard: Littérature populaire de Normandie (Avranches 1884)
- Legrelle: La Normandie sous la monarchie absolue (Rouen 1904)
- Licquet: Histoire de la Normandie (Par. 1835, 2 Bde.)
- Oursel, Noemi Noire: Nouvelle biographie normande (Par. 1886–87, 2 Bde.; Nachtrag 1888)
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909