Offensive und Defensive

Offensive und Defensive, Angriff und Verteidigung, bilden das Wesen des ganzen Gefechts und der ganzen Kriegführung; dennn ohne Angriff ist keine Verteidigung, und ohne Verteidigung lässt sich kein Kampf denken. Immer wird daher entweder der Angriff oder die Verteidigung bei diesem oder jenem fechtenden Teil vorherrschen, und der andere befindet sich dann freiwillig oder gezwungen in dem entgegengesetzten Verhältnis; überdies ist der Angriff zugleich die vollkommenste Verteidigung, und die Verteidigung selbst kann wieder in den Angriff übergehen. Es kann also im Allgemeinen nicht die Rede davon sein, einer von beiden, der Offensive oder der Defensive, einen immerwährenden Vorzug zu geben, denn beide sind gleich natürliche, gleich unvermeidliche, gleich vorteilhafte und gleich Gefahr bringende Zustände des Krieges; beide fechtende Parteien befinden sich stets in der Offensive, durch ihre Waffen, in der Defensive, wegen ihrer verletzlichen Teile.

So lange aber einer der beiden Parteien eine Wahl der Form, der Offensive oder der Defensive, zusteht, ist es wohl zu erwägen, welche von beiden zu ergreifen sei, und dabei alle wesentlichen Verhältnisse des einen, wie des anderen Teils in Betrachtung zu ziehen; jede von beiden Formen ist gleich gut, wenn sie zur rechten Zeit, und aus guten Gründen ergriffen wird. Man soll aber in beiden Formen gleich bewandert und gleich gelenk sein, mit gleicher Freiheit über beide gebieten, für beide eine gleiche, d. h. den Verhältnissen angemessene, Vorliebe besitzen, damit uns weder Vorurteil noch Unvermögen hindere, jeden Augenblick zu tun, was an der Zeit ist, und dem Feind diejenige Form aufzudringen, die ihm am wenigsten zusagt. Man muss eine gleiche Tätigkeit beweisen, in dem Bestreben, dem Feind zu schaden, und sich selbst außer Gefahr zu setzen; man muss bedenken, dass es nicht sowohl darauf ankommt, wer zuerst ausschlägt, sondern darauf, wer zuletzt schlägt. Wir werden uns also nie in der Abwehr des feindlichen Streichs befinden, ohne die Absicht, auch ohne den nötigen Grad von Spannkraft, ihm diesen Streich in dem nächsten günstigen Augenblick zurückzugeben; wir werden den Feind nie anfallen, ohne unserer Kraft gesammelt und im Gleichgewicht zu haben, damit wir stets im Stande sind, jeder plötzlichen Maßregel von seiner Seite, durch eine eben so schnelle und nachdrückliche Tat entgegen zu kommen, die ihn vielleicht empfindlicher verletzen kann, als unser erster Angriff selbst Ergreifen wir die Defensive, so richten wir uns nicht nur nach der eigenen Verletzlichkeit, sondern auch nach dem Verletzungsvermögen des Feindes; wir treffen unserer Anordnungen so, dass der Feind uns nicht angreifen kann, ohne uns bedeutende Blößen zu geben. Wollen wir aber mit der Offensive verfahren, so richten wir uns nach der Verletzbarkeit des Gegners und nach unserer Fähigkeit, daraus Gewinn zu ziehen; seine Lage muss dann so drückend sein, dass er bei unserem Angriff nichts tun kann, als sein Heil in seiner passiven Abwehr zu suchen.

Hieraus geht hervor, dass man bei der Offensive und Defensive einen Unterschied machen müsse, zwischen der Absicht und dem Verhalten; denn die Absicht, jemanden zu zwingen, oder zu verletzen, ist sehr wohl mit dem defensiven Verhalten vereinbar; und eben so gut kann bei dem offensiven Verfahren die Absicht zu Grunde liegen, eine vom Feind zu besorgende Gefahr abzuwenden, sich gegen seinen Zwang und seine Verletzung sicher zu stellen. Das Verhalten ist also gleichgültig, wenn man die für die Absicht zweckmäßigsten Maßregeln trifft; diese Absicht aber kann im Krieg keine andere sein, als, indem man seine eigene Blöße deckt, dem Feind in allen Fällen Schaden und Verlust zuzufügen, und es kommt also nur darauf an, sich nach Umständen der besten Mittel zum Erreichen seiner Zwecke zu bedienen. Alle Übrige, die Eigentümlichkeiten der Truppengattungen, der Gemütszustand der Soldaten, welche beide vielleicht mehr für einen kühnen Angriff, als für eine ruhige kaltblütige Verteidigung taugen, oder umgekehrt, kann auf die Absichten des Feldherrn keinen Einfluss haben; nur auf welche Art er sich der vorhandenen günstigen Umstände am vorteilhaftesten bedienen, oder die ungünstigen am besten unwirksam machen könne, bleibt für ihn eine Aufgabe, deren Auflösung am richtigsten ausfallen wird, je mehr sie in Übereinstimmung ist mit Zweck, Mitteln und Gelegenheit.

Quelle: Rumpf, H. F.: Allgemeine Real-Encyclopädie der gesammten Kriegskunst (Berl. 1827)

Glossar militärischer Begriffe