Strategie und Taktik

Strategie und Taktik, zwei Ausdrücke, welche in neueren Zeiten angefangen haben, eine Rolle in militärischen Schriften zu spielen, ohne dass sie eigentlich bestimmt definiert sind; soviel ist indessen gewisse, dass beide Wörter nicht bloß das heißen sollen, was sie in der griechischen Sprache, aus der sie entlehnt sind, bedeuten, und dass sie uns also nicht aus den Zeiten der Griechen und Römer überkommen, sondern eine Erfindung späterer Schriftsteller sind; die Bedeutungen von ταττειυ, ordnen, (besonders ein Heer) und οτγατνγνλγ, ein Heer führen, sind für den jetzigen Gebrauch unzureichend. Folgendes sind die verschiedenen Ansichten über diese Gegenstände:

1) Bülow, in seinen Lehrsätzen des neuen Krieges, gibt folgende Definition: Strategisch sind alle kriegerischen Bewegungen außer dem Kanonenschuss- oder der Gesichtsweite des Feindes; taktisch sind alle Bewegungen innerhalb dieser Grenzen. Noch allgemeiner würde die Definition lauten: Taktik ist Stellungs- und Bewegungskunst der Truppen, wenn man so nahe am Feind ist, dass man aus Furcht vor plötzlichen Angriffen, sich im Verteidigungszustand befinden, d. h. geschlossen und gerichtet sein muss. Strategie ist die Stellungs- und Bewegungskunst in einer solchen Entfernung vom Feind, dass man seinen Angriff besorgt, und nicht zum Schlagen gerüstet sein darf, genauer bestimmt, in einer Entfernung, welche die Geschichtsweite übersteigt. Strategisch besteht aus zwei Hauptteilen: Marsch und Lager; Taktik besteht ebenfalls aus zwei Hauptteilen: Entwicklung (oder Aufmarsch) und Gefecht, (oder Angriff und Verteidigung.) Alles das zusammen ist Krieg; Taktik ist das Komplement, das Ultimatum der Strategie.

Anderswo sagt Bülow: die Strategie muss der Diplomatie (Kenntnis der Staatsinteressen) und die Taktik (als das Vollendete der Strategie dieser letzteren untergeordnet sein. Denn die Gräuel des Mordes werden nicht als Zweck des Krieges angegeben, weil der Krieg keineswegs etwas in sich selbst Vollendetes, sondern nur Mittel zur Erreichung diplomatischer Zwecke ist. Daher ist die Strategie hoch, wenn sie politische Zwecke beabsichtigt; niedriger – niederer, – wenn sie in sich selbst vollendet ist, und nicht zu einem politischen Vorteil führt; am niedrigsten, wenn sie sogar taktische Zwecke, die unter ihr sind, beabsichtigt.

2) Georg Venturini teilt alle Handlungen eines Kriegshaufens in die drei Lehren des Ruhens, des Bewegens und des Gefechts ein, deren jede sich wieder in drei Rücksichten mit den agierenden Kriegshaufen beschäftigen könne. Die erste Rücksicht geht, nach ihm, bloß auf die Truppen selbst, ohne die geringste Beziehung äußerer, von dem Schauplatz des Krieges abhängiger, zufälliger Begebenheiten; die zweite Rücksicht geht auf die Verschiedenheiten, welche die vielfachen Gegenstände des Terrains in den Grundregeln jener ersten Wissenschaft (wo man nämlich nur die Truppen für sich betrachtet) hervorbringen; die dritte Rücksicht beschäftigt sich mit den Umänderungen, welche in den beiden ersten hervorgebracht werden, wenn man sie in Bezug auf die Sicherheit des ganzen Landes, und der glücklichen Ausführung des Kriegszwecks überhaupt, anwenden will. Der Name dieser drei weitläufigen Rücksichten, oder Wissenschaften, zusammen genommen, soll Taktik sein; davon wäre die erste Wissenschaft die reine Taktik, die beiden anderen zusammen genommen die angewandte Taktik; die zweite Wissenschaft insbesondere aber wäre Kriegskunst, die dritte insbesondere, Strategie. Anderswo bestimmt er, dass die Taktik die Sicherheit der Truppen, die Strategie die Sicherheit des Landes berücksichtige.

3) August Venturi setzt hinzu: Taktik ist die Anordnung zur Instandsetzung der Truppen, zum besseren Gebrauch der Waffen oder zum vorteilhaften Gefecht, in allen Zuständen und in allen Terrains, wo sie sich ihrer Natur nach befinden können; diese Anordnung schließt natürlich diejenige zur Vermeidung eines nachteiligen Gefechts mit ein. Dagegen beschäftigt sich die Strategie mit der Verteilung der Truppen und der Magazine, zur Sicherung des außerhalb dem Wirkungskreise der Streitkräfte befindlichen Landes. Er sagt ferner: die Grenze der Taktik und Strategie könne weder durch die Kanonenschuss- noch durch die Gesichtsweite bestimmt werden, sondern vielmehr durch den Wirkungskreis der jedesmal prädominierenden Waffe. Auch teilt er die Kriegswissenschaften, welche lehren, wie ein Heer, selbst in seinen kleinsten Teilen, den Sieg am leichtesten erringen kann, in drei Teile: 1) die Waffenlehre, oder Lehre von Hervorbringung, Einrichtung, Erhaltung aller Waffenarten; 2) die Taktik, oder Lehre von der Kenntnis aller Kriegsvorfälle, und der Anordnung der Waffen dabei; 3) die Strategie oder Lehre von der Ausführung aller Kriegsvorfälle zur Verteidigung und Eroberung eines Landes.

4) In den „Grundzügen der reinen Strategie“ (von August Wagner) heißt es: Zu der Strategie gehört die Lehre von den Operationen, und ihrer Ausführung auf dem Terrain, oder reine und angewandte Strategie; die letztere begreift wieder die Kunst, Märsche anzuordnen, und Lager zu wählen, nebst der Manövrier- und Detachierungskunst im Großen. Da das Terrain strategisch in ganz anderer Rücksicht und mehr im Großen betrachtet wird, als taktisch, so macht die strategische Terrainlehre einen eigenen Teil der Strategie aus. Die Taktik ist von gleichem Umfang; zu ihr gehören vor allen Dingen als Einleitung die Kriegsgeschichte, und besonders was darin zum Behuf der Geschichte der Waffen und Gefechte vorkommt; denn darin liegen die ersten Keime zu dieser Kunst; sodann die Lehre von den Waffen, und den damit verbundenen Bewegungen der Truppen, oder die reine Taktik; hierauf die taktische Terrainlehre, oder die Betrachtung der Fläche, worauf sich die Truppen bewegen sollen; endlich die Verbindung derselben mit der vorigen, oder die angewandte Taktik, welche die niedere Lagerkunst, die Stellungs- und Manövrierkunst im Felde, die Gefechtskunst, und die Lehre von den kleinen Detachements enthält usw. Den letzten Teil aller militärischen Wissenschaften endlich macht die Armee-Mechanik, d. i. die Lehre von der Zusammensetzung und Erhaltung der verschiedenen Armeeteile, und dazu gehören als Unterabteilungen die Dienstkunde und die Verpflegungskunst. – Die weiteren Ansichten desselben Verfassers enthalten ungefähr folgendes:

Taktik heißt die Lehre von den Bewegungen einer Armee, oder ihrer Teile, wobei ein wirkliches Gefecht der unmittelbare Zweck ist; Strategie hingegen begreift die Bewegungen einer Armee, in sofern sie durch Märsche abgetan sind. Schritt, Marsch, Richtung, Schwenkungen aller Art, Veränderung der Fronte usw., so wie die Anwendung dieser Elemente auf das Terrain und die vorwaltenden Umstände überhaupt, gehören insgesamt zur Taktik. Dagegen sind Anordnung und Ausführung der Märsche, Beziehung der Läger, aller Arten von Dispositionen, Okkupieren eines Postens, besonders in sofern von dessen Behauptung der Besitz eines ganzen Landes abhängt, Belagerung einer Festung, Übergang oder Verteidigung eines Flusses, die Märsche, welche zur Veränderung der Lager- oder Kantonierungsfronte, d. h. der strategischen Fronte, dienen, Beziehen der Winterquartiere, Diversionen usw., strategische Manövers.

Ein charakteristischer Unterschied zwischen Taktik und Strategie ist der, dass alle Bewegungen, wobei auf jeden einzelnen Soldaten, als Individuum, unmittelbar Rücksicht genommen wird, taktisch sind; dass aber die zur Strategie gehören, wo große Massen als einzelne Ganze betrachtet werden. Übrigens ist die Taktik im Kleinen, was die Strategie im Großen ist; jene enthält die Regeln zu Anordnung der Gefechte, und diese die Regeln zum Operationsplan für einen ganzen Feldzug, oder vielleicht für den ganzen Krieg. Im Gefecht hängt die Behauptung des Schlachtfeldes gewöhnlich von dem Besitz der dominierenden Höhen ab; eben so ist strategisch der Besitz eines ganzen Landes oder Terrainabschnitts oft mit der Behauptung eines einzelnen Punktes verbunden, den man deshalb alsdann den strategischen Schlüssel nennt. In der Schlacht ist der Flankenangriff gewöhnlich entscheidend, und in der Strategie gewährt die gelungene Umgehung der Flanken die entscheidenden Vorteile; uns so ist es mit allen übrigen Manœuvres der Taktik, so dass jedes derselben ein ihm korrespondierendes in der Strategie hat. Die Strategie gibt aber die Mittel an, wodurch man die Absichten seines Feindes kennen, und sich dagegen in Sicherheit setzen lernt; sie zeigt, auf welche Art, und wo man ihm die empfindlichsten Schläge beibringen kann; sie enthält die Grundsätze, nach welchen der Plan eines Feldzuges, oder eines ganzen Krieges, dergestalt entworfen werden muss, dass er für uns die wichtigsten Resultate habe; die Strategie schreibt also der Taktik ihre Schritte vor, und ist die Gesetzgeberin für alle Bewegungen, welche eine Armee unternimmt. Jedes Manœuvre, welches im Kriege rein taktisch, d. h. ohne Beziehung auf die Vorschriften der Strategie, unternommen oder ausgeführt wird, ist daher höchst gefährlich, oder doch wenigstens unzweckmäßig und unnütz; in Fällen, wo das Terrain nicht erlaubt, der Strategie gemäß zu manövrieren, soll man lieber nicht schlagen, als bei der Wahl eines taktischen Angriffspunkts seine strategischen Vorteile aus der Hand geben. Aus allem diesem folgt auch, dass ein General, der bloß Taktiker ist, zwar ein recht guter Linienoffizier, aber kein Feldherr sein kann.

5) In der deutschen Bearbeitung des Rogniat (Maj. v. Decker) heißt es: Anordnung, Plan, Entwurf zu kriegerischen Unternehmungen heißt Strategie; Ausführung, Taktik. Aus dieser Erklärung folgt unmittelbar, dass das strategische Element nicht im Feldherrn allein, sondern überhaupt in jedem liegen muss, der eine Anordnung, einen Plan, einen Entwurf zu machen hat. Wir dürfen es daher in keinem kriegerischen Verhältnisse, sobald irgend etwas angeordnet werden soll, vermissen, und unterscheiden daher ein ideales und materielles Element, im Feldherrn, wie im Subalternoffizier, im General, wie im Führer eine Patrouille; aber freilich jedes sich auf verschiedene und eigentümliche Art aussprechend, und deshalb darf hier das strategische Element nicht mit der Strategie selbst verwechselt werden.

Die Kriegführung lässt sich, im weiteren Sinne, mit dem Kampf zweier Menschen vergleichen. Betrachtet man nun die Fechtkunst, so ergibt sich sogleich, dass sie nicht nur aus einer mechanischen Geschicklichkeit, sondern auch aus einem Gebrauch dieser Geschicklichkeit besteht. Bisher wäre nun alles taktisch gewesen, aber jetzt tritt der Zweck mit hinzu, zu welchem jene Geschicklichkeit verwendet wird, und dieses wird offenbar ein strategisches Element sein. Allein beide Elemente durchdringen sich viel zu sehr, um streng von einander getrennt und abgeschieden zu werden. Beide Elemente haben ferner ihre eigene Theorie, ihre eigene Praxis; das fühlte man auch längst; aber gerade diese doppelte Theorie und doppelte Praxis wurde die Veranlassung zu Verwirrung der Begriffe.

6) Der General R. v. L. (in seinem Handbuch für den Offizier) sagt im Allgemeinen Folgendes. Was ausdrücklich Taktik und was Strategie genannt werden müsse, ist, wenn man es einigermaßen genau nimmt, immer noch unentschieden. Taktisch ist eigentlich, was in Gebiet der Taktik, strategisch, was ins Gebiet der Strategie gehört; so lange aber für die Wissenschaft selbst das Gebiet nicht festgestellt ist, kann es nicht unterbleiben, dass auch mit den auf sie bezogenen, und von ihnen abgeleiteten Adjektiven schwankende Begriffe verbunden werden.

Nachdem die verschiedenen Ansichten der bisher genannten Schriftsteller aufgeführt sind, sagt der General weiter: Bülows Ansicht hat, nächst dem, dass ihm die Ehre gebührt, zuerst die Sache schärfer ins Auge gefasst zu haben, nach unserer Meinung den meist genialischen Anstrich, und wie sich die Übrigen sträuben mögen, so können sie nicht umhin, mit anderen Worten fast dasselbe zu behaupten, was er, freilich mit einiger Verworrenheit, schon angedeutet hatte. Doch können wir seinen Erklärungen von Taktik und Strategie nicht Beifall geben; am meisten sagt uns noch diejenige zu, wo er die Besorgnis und Sicherheit vor dem feindlichen Angriff zum Unterscheidungszeichen wählt, obgleich sie sich auch bei näherer Prüfung als unhaltbar bewährt. – Scheint Bülow bei Auffindung seiner Einteilung das Bild eines Kriegshaufens vor Augen gehabt zu haben, der sich in Bewegung befindet, um einen anderen stehenden aus dem Feld zu schlagen, so wird es wahrscheinlich, dass in beider Venturinis Seele das Bild desjenigen Kriegshaufens vorherrschend gewesen sei, der den Angreifer in irgend einer Stellung erwartet. Aber auch hier geben physische und intellektuelle Wirkungssphären die eigentliche Veranlassung zur Unterscheidung. Die Sicherung der Truppen oder des Landes kann keinen fruchtbringenden Einteilungsgrund abgeben, da das charakteristische einer jeden Kriegshandlung ist, dass durch sie Truppen und Land zu gleicher Zeit in eine relative Sicherheit gesetzt werden, oder wenigstens, dass sie mit diesem Endzweck in irgend einer Verbindung steht. Bei der A. Venturinischen Einteilung der Kriegswissenschaften in Waffenlehre, Taktik und Strategie, scheint Anordnung und Ausführung (Tätigkeit des Feldherren und der Truppe) das Hauptmotiv der Unterscheidung der beiden letzten Wissenschaften gewesen zu sein. Da aber stets Anordnung und Ausführung in einer so engen Verknüpfung neben einander hergehen, so zweifeln wir, ob dies eine bequeme Einteilung geben möge.

Wenn der Verfasser der Grundzüge der reinen Strategie, alle solchen Unternehmungen (Bewegungen) eines Kriegshaufens, bei denen wirkliches Gefecht der Zweck ist, zur Taktik, dagegen alle diejenigen, bei denen es mit Märschen abgetan ist, zur Strategie gerechnet wissen will, so ist auch hier physische und intellektuelle Wechselwirkung das versteckte Unterscheidungsmotiv. Will man aber alle Ausdrücke, in denen die Beiwörter strategisch und taktisch vorgefunden werden, nach diesem Gegenstand ins Klare setzen, so wird man häufig die theoretische Unterscheidung durch die Praxis nicht gerechtfertigt finden.

Auch der Erklärung, Strategie sei im Großen, was Taktik im Kleinen, können wir keinen rechten Beifall geben, inwiefern dadurch eine konsequente und durchgreifende Spaltung des weiten Gebiets der Kriegswissenschaft begründet werden soll, ob sie schon unserer (vorher S. 87 aufgestellten) Behauptung, dass der Gegenstand von Taktischem und Strategischem füglich entbehrt werden könne, das Wort redet. Die Ansichten des Verfassers (Wagner) geben insgesamt keine Definition, und es lässt sich auch keine aus ihnen ableiten. Dieser Mangel einer logischen Basis macht aber jedes Kunstwort völlig unbrauchbar für eine ernste und fruchtbringende Anwendung. Statt Belehrung und Aufklärung zu gewähren, verleitet es nur weniger Unterrichtete zu falschen Konsequenzen, Urteilen und Anordnungen; und so empfehlenswert es sein mag, auf eine künstlerische Weise, und in Gemäßheit wissenschaftlicher Prinzipien zu handeln, so gefährlich wird es notwendig, wenn man dabei von falschen Voraussetzungen ausgeht; und dies ist ein Grund mehr, warum sich die Empiriker oft mit großem Recht gegen Theorie und Wissenschaft auflehnen, und sie als verderblich und verfolgenswert schildern.

Lässt man die bisher üblichen Definitionen von Taktik, und Strategie stehen, so lässt sich auch nicht durchgreifend nachweisen, dass jene vollbringe, was diese begonnen; im Gegenteil bemerkt man im Kriege einen unaufhörlichen willkürlichen Wechsel. Sehr oft vollendet eigentlich die Strategie, was nur eingeleitet ward durch die Taktik, wie denn gewöhnlich bei Schlachten nicht sowohl die physische Niederlage (die Einbuße an Menschen und Gerät) sondern vielmehr die intellektuelle (die Einbuße an Mut und Besonnenheit) den wahren Ausschlag gibt. Darum waren die Folgen der Schlacht von Belle-Alliance so groß, und die der Schlacht von Eylau so klein. – Verstehen wir den in der deutschen Bearbeitung des Rogniat aufgestellten Vergleich mit der Fechtkunst recht, so würde daraus hervorgehen: Taktik sei die kriegerische Fechtkunst, die Kunst sich mit Kriegswaffen zu bekämpfen, und Strategie die Kunst, mittelst der Kriegskämpfe gewisse höhere Zwecke zu erreichen. Mit anderen Worten, Taktik Fechtkunst, Strategie Operations- und Kriegführungskunst. Zuerst aber wurde behauptet: Strategie sei Ordnung, Taktik Ausführung; also liegt der hier aufgestellten Ansicht offenbar kein einiges, sondern ein doppeltes Einteilungsprinzip zum Grunde. Welches von beiden ist nun das rechte?

Die eigenen Ansichten des Generals sind kürzlich folgende: Die gesamte Sphäre alles militärischen Wissen hat zwei Brennpunkte, auf die man Jegliches zurückführen kann; den einen bildet die Kriegshandlung, den zweiten der Kriegsstoff; es ist gleichgültig, welchen von beiden man zur Basis seines Systems machen will. Am liebsten würden wir von dem zweiten Brennpunkt ausgehen wollen, und dann ergeben sich sowohl für die Ausübung (Praxis) als für die Spekulation (Theorie) vier große Hauptgesichtspunkte, unter denen der Stoff erwogen werden kann: 1) Die Produktion desselben, das Erzeugen und Herbeischaffen des personellen sowohl als des materiellen rohen Kriegsstoffs; 2) die Fabrikation dieses rohen Stoffes, seine Zurichtung, Ausbildung, Ausstattung und Zusammensetzung. 3) Die Conservation, oder alles, was Ernährung, Ergänzung, Unterhaltung und Fortdauer des fabrizierten Kriegsstoffes, (sowohl des personalen als des materiellen) betrifft; 4) die Konsumation, oder der Gebrauch, die Anwendung, Benutzung der aus dem rohen Stoff gebildeten Kriegsmaschinen und ihrer Elemente zu wirklichen Kriegs- und Staatszwecken.

Aus jedem dieser Gesichtspunkte erzeugt sich für die Ausübung eine vielfach gegliederte Kunst oder Technik, für die Spekulation eine eben solch Wissenschaft. Jede der solchergestalt entstandenen Wissenschaften zerfällt in eine Theorie, Zusammenstellung und Erläuterung von Maximen, Erfahrungen, Ansichten etc., und in eine Kunde, welche Tatsachen und Zustände, Begebenheiten, Erscheinungen und Eigenschaften aufzählt und zusammenreiht, und wobei sie teils graphisch, teils historisch zu Werk gehen kann. Die Masse der zu diesen gesamten Zwecken erschienenen Schriften bildet die militärische Literatur, welche in eben so viele Fächer zerfällt, als man verschiedene Techniken, Theorien und Kunden unterschieden hat, usw. – Wollte man in der Theorie der Konsumation des Kriegsstoffs einen besonderen Hauptabschnitt der Lehre vom Kriegsgebrauch der Truppen widmen, und diesen Hauptabschnitt etwa abteilen in die Lehre vom Verhalten im Gefecht, und in die Lehre von der Beziehung der Gefechte auf Kriegszwecke und Kriegsoperationen, jene Taktik, diese Strategie nennen, so würden wir im Allgemeinen dagegen nichts einzuwenden haben, dieser Einteilung jedoch immer nur erst dann einen entschiedenen Beifall zollen können, wenn wir in Gemäßheit ihrer nun alle in der Praxis des Truppengebrauchs zur Sprache kommenden Materien in einer bequemen und folgerechten Zusammenstellung wirklich erschöpft, und auseinander abgeleitet fänden, usw.

Diese Zusammenstellung so verschiedener Meinungen über das, was eigentlich Strategie, und was Taktik sei, führt mich auf den Gedanken, dass die erstere wohl gar weder als eine Kunst, noch als eine Wissenschaft angesehen werden könne, sondern dass sie nichts sei, als die höhere Geisteskraft des Menschen selbst, welche ihm in der Kriegskunst eben so wohl, wie in jeder anderen wirklichen Kunst nötig ist, sobald er als groß in derselben dastehen will. Diese Idee, welche vorzüglich durch die Worte des Generals R. v. L. „Beziehung der Gefechte auf Kriegszwecke und Kriegsoperationen“ erweckt wird, als welche Beziehung doch nur eine Funktion des menschlichen Geistes sein kann, will ich versuchen hier weiter auszuführen.

Aus der Naturgeschichte des Menschen erfahren wir auch die Naturgeschichte des Krieges; letzterer, so alt, wie das Menschengeschlecht, war ursprünglich Kampf der Einzelnen gegen Einzelne. – Kraft gab die Natur, Waffen die Gelegenheit; List und Schlauheit erwachten in dem Augenblick, als über dem Haupte dem Menschen zum ersten Male die Keule sich schwang. Das erste rohe Mittel war die Waffe; Angriff und Verteidigung lehrte ihren Gebrauch; Anführer war der Stärkste, Kühnste, Schlauste.

Waffe und Moment ihres Gebrauch waren also die ersten rohen Elemente des Krieges. Lange genügte der Ast, den der Wilde vom Baume brach, die Keule, die er führte, ehe Schutz und Trutz dem Verstande das unermessliche Gebiet der Waffenerfindung öffnete. Schon mit Pfeil und Bogen war ein bedeutender Schritt zur Waffenlehre getan, und als der Wilde auf seinen Feind im Versteck lauerte, ihn überfiel, zerstreute, verfolgte, ward er, Kraft mit List verbindend, Stratege.

Das wilde Gewühl gegeneinander kämpfender Haufen musste sich nach und nach in mehr Ordnung verwandeln, und aus dem Verein der Kräfte von Vielen, aus regelmäßiger Stellung und Bewegung die Idee des Übergewichts sich entwickeln. Aus diesen ersten dem menschlichen Verstand gemachten Aufgaben, entstanden Regeln für das Gefecht, und mit ihnen die Grundlage einer Gefechtslehre.

Die Not, den Feind öfters und fortdauernd zu bekämpfen, erforderte Heere, also Aushebung, Verpflegung, Zucht, Unterordnung; allmählich folgten gegenseitig stehende Heere; die Organisation derselben machte Kenntnisse nötig, welche mit der Benennung Truppenkunde, nicht unpassend zu bezeichnen sein dürften.

Bloße Stärke, Kühnheit, Schlauheit reichten bald nicht mehr aus. Mittel und Gegenmittel vervielfältigten sich, und standen dem Kundigen zu Gebote. Das Wann, Wo und Wie nahm das höchste Geistige des Menschen, Genie und Talen, in Anspruch.

So gestaltete sich aus den unaufhörlichen Wechselwirkungen der Übung des menschlichen Verstandes, aus der unendlichen Menge von Berührungspunkten des Geistigverwandten, wie überall, auch im Kriegswesen ein System, ein Lehrgebäude von zusammenhängenden Regeln und Grundsätzen, welche erlernt werden können. Wer aber in dem Stande des Kriegers sich zur Übersicht des wissenschaftlichen Gebiets erhoben hat, worin er sich für seinen Beruf ausbilden soll, wird bald an die Grenze eines höheren Gebiets gelangen, wohin kein Lehrer ihm folgt, wo er durch eigene Kombinationen selbstständig handeln soll. Er wird also eine Wissenschaftlichkeit erkennen, die gelehrt wird, aber auch ahnen, dass es noch etwas Höheres gebe, was aus ihm selbst hervorgehen müsse.

Dieses höhere Geistige ist das schon genannte Kriegsgenie und Talent. Das Genie schafft sich eigene Kräfte und Mittel; es vereinigt mit sich das Talent, welches die vorhandenen Kräfte und Mittel umfasst und benutzt; Studium und Erfahrung erleichtern beiden das Erschaffen, Erkennen, Umfassen, steigern die geistigen Kräfte des Menschen.

Aus dem Gesagten ergeben sich schon von selbst die Eigenschaften, welche den höheren oder niederen Standpunkt des Kriegers bestimmen, nämlich entweder 1) Wissenschaft, oder 2) Genie und Talen, oder 3) Wissenschaft mit Genie und Talent verbunden. Der Wissenschaft, nämlich mit Ausschluss der Hilfswissenschaften, dürfte, (um weder an dem Worte Kunst noch Wissenschaft anzustoßen) die Benennung Kriegslehre beizulegen, das Kriegsgenie und Talent aber nur unter dem Begriff Strategie zusammen zu fassen sein.

Es geht hervor, das hiernach die Strategie zweierlei ist, a) das bloße angeborene Kriegsgenie und Talent, reine natürlich Strategie, b) das Kriegsgenie, verbunden mit Studium und Erfahrung, Strategik. So heißen nun die drei Grundlagen: Kriegslehre, Strategie, Strategik. Über die erstere ist schon unter dem Artikel Kriegswissenschaften, auch unter Kriegskunst, ein Mehreres beigebracht.

Die Strategie ist also die höhere Geisteskraft des Menschen, welche sich in zweckmäßigen Kriegshandlungen zeigt, das bloße eingeborene Kriegsgenie und Talent; die Strategik ist das Kriegsgenie, verbunden mit Studium und Erfahrung. – Die Erfahrung ist im Kriege selbst zu erlangen; das Studium ist: 1) Allgemeine Geschichte des Kriegswesens und der Kriege, 2) Studium der Schlachten und Gefechte, 3) Studium aller Teile der Kriegslehre. Was außerdem, als zu der Strategik gehörig, noch wissenschaftlich behandelt werden kann, ist: a) Eine kritische Beleuchtung aller Momente des Krieges, woraus am Ende der beste Krieg, d. h. eine Hinweisung auf diejenige Handlungsweise, durch welche man mit dem geringsten Verlust an Zeit und Kräften einen Kriegszweck erreichen kann, hervorgehen würde. b) Die Aufstellung von allgemeinen, für jeden Krieger nach seinem Wirkungskreise, und für alle Waffen passenden Grundsätzen (Strategische Maximen). Hier schlägt Philosophie, Menschenkenntnis etc. in das Gebiet der Strategik ein.

Wird nun so die Strategie als der Geist, die gesamte Kriegslehre als die Form betrachtet, so ergibt sich von selbst, dass das strategische Element ein Gabe der Natur ist, und dass der einzelne Tirailleur in seinem Wirkungskreis eben so gut strategisch handelt, wie der Feldherr in dem seinigen. Was strategisch ist, besteht nach unveränderlichen Gesetzen, und kann nicht anders als so sein; eine strategische Handlung in irgend einem vorgekommenen Falle würde für den nämlichen ewig dieselbe bleiben müssen, wenn es überhaupt in der Welt möglich wäre, dass das, was da war, ganz so, und ohne den geringsten Nebenumstand, wieder erschiene; dies eben gibt aber der Strategie ihren hohen Rang, weil die sich immer erneuernde Mannigfaltigkeit der Umstände es nicht zulässt, ihre Regeln für eine künftige Handlungsweise vorzuschreiben, und hierdurch unterscheidet sich am meisten von Allem, was gelehrt wird, namentlich aber von der Taktik, die man ihr so oft gegenüber, oder gar an die Seite gestellt hat.

Es ist nun leicht, alle Zusammensetzungen mit dem Worte strategisch genügend zu erklären; noch leichter passt sich der Begriff von Gefechtslehre für Taktik den Zusammensetzungen mit taktisch an. Z. B.

Strategischer Angriffspunkt, der in dem strategischen Plane gegründet ist, und unbedingt für einen Fall, der und kein anderen sein muss; den das Kriegsgenie und Talent für den zweckmäßigsten erkennt. Seine Vervielfältigung ist, wie die der Umstände, unendlich. Taktischer Angriffspunkt, den die Gefechtslehre als den vorteilhaftesten darstellt, wie er von dem Terrain und anderen feindlichen und eigenen Verhältnissen abhängig ist. Seine Wahl kann aber im Allgemeinen für künftige Fälle vorgeschrieben werden. – Beide sind oft verschieden; dann muss der letztere dem ersteren weichen; fallen sie zusammen, so sind sie am vorteilhaftesten.

Strategischer Schlüssel, und taktischer Schlüssel. Beide beziehen sich auf einen gewissen Punkt des Terrains, und sind sich in ihrer äußeren Gestaltung ziemlich ähnlich; aber ihre Lage, und der mit ihrer Wahl verbundene Zweck sind oft sehr verschieden. Den taktischen Schlüssel wird ein jeder sogleich erkennen, wenn ihm gesagt wird, es sei ein Punkt des Terrains, von wo aus die Bewegung der Truppen nach allen Seiten ihm freisteht, von wo aus man den Feind an mehreren Orten angreifen kann, durch dessen Besetzung man dem Feinde gleiche Vorteile entzieht, der die umliegenden Punkte beherrscht, usw. Dahingegen wird den strategischen Schlüssel, außer wenn er zugleich der taktisch ist, nur das Genie oder Talent erkennen, wegen der Menge von seinen Kombinationen, die zu dessen Bestimmung nötig sind, und weil er durch seinen Besitz eine Menge anderer Vorteile, als die, welche für das bloße Gefecht bedingt sind, zu verschaffen bestimmt sein kann; weil die Wahl desselben von einer unendlichen Menge von Umständen abhängig ist, und sich daher im Voraus keine Vorschriften dafür geben lassen.

Wenn der strategische und der taktische Schlüssel zusammenfallen, so ist er jedesmal die höchste Gegend eines Terrainabschnitts. In hochgebirgigen Gegenden nämlich geschehen alle kriegerischen Operationen in den Tälern. Trifft es sich nun, dass diese von einem einzigen Punkte, wie die Radien eines Kreises auslaufen, so muss dieses vermöge der natürlichen Beschaffenheit der Erdoberfläche der höchste Punkt sein. Wer aber von diesem Punkte Herr ist, der ist auch Herr aller Täler, weil er in alle mit gleicher Leichtigkeit einrücken, und den ihm entgegen kommenden Feind schnell und unversehens in Rücken und Flanke fassen kann. Der Feind mag ihn bedrohen, von welcher Seite er will, so kann er immer mit einem kürzeren Marsche sich ihm entgegenstellen; dabei hat er noch überdies alle Vorteile des Terrains auf seiner Seite, indem er bergab operiert, und sein Gegner bergauf. Auch stehen ihm die Vor- und Rückseiten aller Berge, welche die Täler begrenzen, weit eher und sicherer zu Gebote, als dem, welcher von außen in diese Gewebe von Bergen und Tälern eindringen will. Dergleichen Punkte finden sich verschiedene auf der Erdoberfläche; der vorzüglichste ist der St. Gotthard in der Schweiz, die Wolgahöhe (Wolgaplatte) in Russland in der Statthalterschaft Twer und Pleskau (Pskow) am Ursprung der Wolga, sonst auch das Alaunische Gebirge oder der Wolchowkische Wald genannt, sodann der Vogelsberg in Hessen, das Fichtelgebirge, und in gewisser Rücksicht auch die Höhen von Kaiserslautern.

Diese strategisch-taktischen Schlüssel haben aber notwendig ihre Grenzen, welche sich verschiedentlich bestimmen; hauptsächlich hängen sie ab: 1) von der Divergenz und dem Zusammenhang der verschiedenen Täler untereinander, verglichen mit ihrem Abstand von dem gemeinschaftlichen Mittelpunkt; 2) von der Beschaffenheit des umliegenden Terrains. Gewöhnlich sind sie durch Flüsse begrenzt. – Eine zweite Art solcher Schlüssel entsteht in hochgebirgigen Ländern da, wo mehrere Flüsse, die von verschiedenen Gebirgsrücken herabstürzen, sich vereinigen, und als ein Hauptfluss weiter fließen. Ein solcher existiert z. B. bei Bozen in Tirol, wo sich die Gewässer der Etsch, der Eisack und der Talfer vereinigen; der Nutzen solcher Punkte beruht auf denselben Gründen, als der der ersteren Art.

Strategische Schlacht würde eine solche sein, welche nach dem strategischen Plan, d. h. nach den Kombinationen des Kriegsgenies oder Talents unbedingt notwendig oder vorteilhaft ist; es wird daher, nebst den richtigsten Vorbereitungen und Anordnungen, die rechte Zeit und der zweckmäßigste Ort gewählt werden. Da aber eigentlich keine andere, als solche Bedingungen bei einer Schlacht stattfinden sollten, so ist wohl, dünkt mich, der Unterschied zwischen einer strategischen und einer taktischen Schlacht überflüssig. Eine unstrategische kann es wohl geben, aber eine bloß taktische nicht, man hätte denn bloß den Zweck, sich, ohne irgend eine andere Rücksicht, zu morden. Wollte man auch sagen, eine Armee, die überfallen wird, muss sich schlagen, ohne die obigen Bedingungen erfüllt zu haben, so kann man antworten, der Feldherr derselben hat vorher nicht strategisch gehandelt. Und dennoch ist auch dies keine bloß taktische Schlacht, sie müsste denn wie ein Uhrwerk sein, das durch die Gefechtslehre aufgezogen wird, und nun in Gang kommt. – Nur einzelne Akte einer Schlacht können rein taktisch sein, und selbst die Entscheidung einer Schlacht kann rein taktisch durch solche Akte herbei geführt werden. Hier noch etwas von den Schlachten überhaupt.

Durch die strategischen Vorbereitungen zu einer Schlacht, oder zu einem ganzen Kriege überhaupt, zeigt sich der Feldherr in seinem glänzendsten Lichte; oft ist der Feind strategisch schon geschlagen; ehe es zur wirklichen Schlacht kam; aber wie mannigfaltige Kenntnisse und Vorzüge des Geistes werden hierzu bei dem Heerführer in Tätigkeit gesetzt werden müssen! – Die Stärke und Überlegenheit einer Armee, welche schlägt, hängt ab von dem Terrain, von der Anzahl, und von der Güte der Truppen. Die letztere besteht teils in einer ausgezeichneten Tapferkeit, teils in einer besonderen Leichtigkeit, die erforderlichen Manœuvres und Evolutionen auszuführen; ein General, der die Stärke seiner Armee im Verhältnis der ihr gegenüber stehenden genau beurteilen will, muss alles dies von Freund und Feind bestimmt wissen. Was das Terrain, auf welchem man steht, die Beweglichkeit der Truppen, und ihre Menge betrifft, so ist es weit leichter, hiermit bekannt zu werden, als mit allem, was die Bravour anbelangt. Hier ist es besonders, wo einem Feldherrn die genaueste Menschenkenntnis am meisten zustatten kommt.

Die persönliche Tapferkeit des Menschen hängt ganz von dem Moralischen desselben, von seinem Charakter ab; es gibt daher hauptsächlich vier Arten von Bravour: 1) aus Gewohnheit, welche allen rohen und halbkultivierten Völkern eigen ist; 2) aus Mut und Leidenschaft; 3) aus Ehrgeiz; 4) aus kalter Überlegung und Pflichtgefühl. Die beiden letzteren finden sich vermischt unter den gebildeten Nationen. – Da der Charakter so vielen Einfluss auf den Mut hat, so soll ein General nicht allein den Charakter der unter seinen Befehlen stehenden Truppen kennen, sondern auch derer, gegen welche er ficht, und besonders des ihm gegenüber stehenden Anführers. Wer hiermit vertraut ist, der ist auch im Stande, zu beurteilen, wodurch der Mut seiner Truppen gehoben, der Mut der feindlichen niedergeschlagen werden kann. Es geht im Großen, wie im Kleinen; wer seinem Gegner imponieren, d. h. ihm Achtung und Ehrfurcht abgewinnen kann, der hat schon halb gesiegt. Man muss sich dagegen sehr hüten, eine ängstliche Vorsicht zu zeigen, welche jeden Schritt hundert Mal überlegt, ehe er getan wird; hierdurch wird dem Feinde, welcher sich gefürchtet sieht, Selbstvertrauen, Mut und Unternehmungsgeist eingeflößt. Eine gewisse Unbefangenheit ist bei kriegerischen Unternehmen von großer Wichtigkeit; den eigenen Truppen flößt sie Zutrauen ein; Kleinigkeiten, die man wagt, beständige Neckereien, machen die Feinde furchtsam und ängstlich. Einen Feind von sehr lebhaftem Temperament müsste man in Fälle zu versetzen suchen, wo er schlechterdings genötigt wäre, in Untätigkeit zu bleiben, und vielleicht noch obendrein mit Mangel und anderem Ungemach zu kämpfen. Nichts schlägt den Mut, welcher aus allzugroßer Lebhaftigkeit, und gewissermaßen aus Übereilung entsteht, mehr nieder, als kalte Überlegung.

Ein Feldherr, der den Operationsplan seiner Gegner nicht kennt, oder darüber nicht richtige Mutmaßungen anzustellen vermag, ist in offenbarem Nachteil; daher ist es wichtig, seinen eigenen Plan verborgen zu halten. Der angreifende Teil hat den Vorteil, dass der Feind nicht im Stande ist, den Zweck seiner Bewegungen sobald einzusehen, und ehe er sie begreift, ist der Schlag schon geschehen. Man muss aber alles anwenden, um seines Gegners Pläne nicht zur Entwicklung kommen zu lassen.

Wenn sich eine Armee dem Feinde in der Absicht nähert, ihm eine Schlacht zu liefern, so muss man folgende Punkte kennen: 1) den strategischen und taktischen Angriffspunkt des Feindes; 2) den von uns zum Angriff bestimmten Punkt, ebenfalls in strategischer und taktischer Hinsicht. Auf diesen Punkten muss die Stärke der Armeen vorzüglich konzentriert sein; auf derjenigen Seite, wo der strategische und taktische Angriffspunkt zusammenfallen, ist der überwiegenden Vorteil. – Alles, was den Angriffspunkten des Feindes zu Hilfe kommen könnte, muss man zuvor an andere Orte zu locken suchen; daher die Regel der falschen und versteckten Attacken, mit allem, was darauf, und auf Verbergen der Bewegungen überhaupt, durch leichte Truppen und vorgeschobene Posten, Bezug hat. Hat man so den wahren Angriffspunkt gehörig versteckt, und den Feind auf allen Seiten beschäftigt, so muss man sich der dominierenden Höhen bemächtigen; auf den entscheidenden Punkt muss man mehr Streiter auf einmal ins Gefecht zu bringen im Stande sein, als der Feind.

Der Feind ist besiegt, wenn seine Kräfte zerstreut, und er außer Stande ist, uns noch einen beträchtlichen Teil davon entgegen zu stellen. Daraus ergibt sich, dass man die Linien des Feindes durchbrechen, und seine Massen in Unordnung bringen muss; man greift ihn hierbei entweder selbst an, oder man wartet den Angriff ab, schlägt den Feind zurück, und benutzt nun seine Unordnung. Beides richtet sich nach dem Terrain, und man richtet danach schon vorher seine Schlachtordnung ein. Wenn der Feind einmal zum Rückzug genötigt ist, so kann er nicht eher wieder die Spitze bieten, als bis er seine geschlagenen Truppen größtenteils wieder vereinigt hat; diese Vereinigung muss man zu verhindern suchen, und darin besteht die Verfolgung des Sieges. Man muss den Feind von solchen Punkten abdrängen, wo es uns unmöglich wird, die Versammlung seiner zerstreuten Kräfte zu hindern; dahin gehören durchschnittenes Terrain, Festungen, und überhaupt seine Basis; denn es ist ein Hauptgrundsatz, dass sich eine geschlagene Armee auf ihre Basis wirft. Zersplittert sich der Feind in mehrere Korps, so muss man sich zwischen sie drängen, um ihre Vereinigung zu hindern; bleibt er beisammen, so muss man ihm so lange unablässig zusetzen, bis man ihn entweder ganz zerstreut, oder bis man sich überzeugt hat, dass er in vollkommener Sicherheit sei. In jedem Fall muss man besonders darauf bedacht sein, dass der Feind sich nicht etwa wieder nach den Hauptoperationsobjekten hinwende.

Ehe man sich mit dem Feinde einlässt, müssen alle Vorsichtsmaßregeln zur Sicherung eines etwaigen Rückzuges ergriffen werden, und diese müssen von der Art sein, dass es das Ansehen habe, als ob die Armee bereits total geschlagen wäre. Sind in der Schlacht unsere Linien durchbrochen worden, so muss man durch die Reserven der Unordnung schnell zu steuern suchen; geht dies aber nicht, und wir müssen weichen, so muss der Rückzug angetreten werden, welcher schon vorher dergestalt bestimmt ist, dass man dabei seine zerstreuten Korps bald wieder zu sammeln im Stande sei. Eigentlich geschieht der Rückzug allemal nach der Basis; befindet sich aber eine feste Position in der Nähe, so wird er dahin gerichtet, doch muss sie vorher wohl rekognosziert sein, und an schwachen Stellen sogleich verschanzt werden.

Der Rückzug einer geschlagenen Armee hängt, außer der Deckung des Hauptobjekts, welches man immer im Auge behalten muss, noch von sehr vielen Nebenumständen ab, so dass es schwer ist, darüber allgemeine Grundsätze aufzustellen; die Hauptsache ist aber, sich nicht in mehrere Corps zu zersplittern. Zieht man sich auf verschiedenen Linien zurück, so muss dies so geschehen, dass man sich sogleich wieder vereinigen kann; man sollte daher kein Schlachtfeld wählen, von welchem aus, bei einem Rückzug, die großen Straßen und Kolonnenwege sich von einander nach verschiedenen Richtungen entfernen; dies würde nur in dem Falle von keinem Nachteil sein, wenn die Basis, die man zu gewinnen sucht, in sich selbst fest, und im Stande ist, den Feind im Verfolgen aufzuhalten.

Alle Erfindungen in dem Gebiete der gesamten Kriegslehre, wenn sie nicht der Zufall hervorbringt, sind ein Werk der Strategie oder Strategik, weil Erfindungen, wobei man sich wirklich eines Zweckes bewusst ist, nur durch das Genie gemacht werden können, oder weil im Kriegswesen nur das Talent im Stande ist, vorhandene Mittel auf eine neue und zugleich zweckmäßige Art anzuwenden.

Aus der oben gemachten Unterscheidung zwischen Strategie geht hervor, was ein Stratege, und was ein Strategiker sei. Der Stratege besitzt die höhere Geistesfähigkeit, im Kriege Erfindungen, oder auch neue Anwendungen zu machen, Stoff, Zeit und Raum unter allen Umständen seinem Zwecke gemäß zu benutzen; er handelt aber nur als Naturalist, und ist ein Kriegsgenie von Natur. Der Strategiker verbindet hiermit noch Studium und Erfahrung; er ist ein großer Mann. Als Feldherren bewährt ihn vor Allem als Strategiker diese Verbindung der Naturgaben mit den erlangten Kenntnissen und der Kriegsgewohnheit, indem er mit lebendiger Einbildungskraft den ganzen Schauplatz des Krieges umfasst, die erforderlichen Streitkräfte nach Zahl und Waffe, so wie die entscheidenden Punkte bestimmt, deren Besitz zu seinem Endzweck notwendig ist. Er ist aber nicht bloß Meister in seiner Kunst; auch in keinem anderen wissenschaftlichen Gebiet ist er ein Fremdling. Er ist vorzugsweise Länder- und Staatenkundiger, und weiß die feindlichen Streitkräfte und ihre Hilfsquellen in allen ihren Beziehungen zu berechnen. Philosoph und Menschenkenner, hat er den Geist und Charakter seiner Nation und seines Feindes genau erforscht, ehe er ihn handeln sieht. Die Energie seines Charakters geht in seine Reden über, und er versteht die Kunst, mit wenig Worten den Mut seines Heeres zu entflammen. Verschlossen und undurchdringlich in seinen Entwürfen, schnell in der Ausführung, unternimmt er große Dinge mit kleinen Mitteln; in der dringendsten Verlegenheit handelt er mit einer liebenswürdigen Munterkeit, und einer ruhigen Eile. Gefahr macht seine Begriffe nur deutlicher, nicht verworrener; in allen seinen Unternehmungen zeigt sich die Überlegenheit seines Geistes. Seine Kaltblütigkeit in den misslichen Lagen macht ihn kühn, und er findet in dem geringsten Umstande Hilfsmittel, deren Gewagtes immer noch nicht an seinen Mut reicht. Unbezwinglich im Unglück, weiß er doch seine Kraft inne zu halten, wo Standhaftigkeit und Beharrlichkeit nur Eigensinn wäre, und die Klugheit andere Auswege zeigt. Mit Adlerblicken durchschaut er jede Unternehmung des Feindes, er hemmt die Quellen jeder feindlichen Tätigkeit schon an ihrem Ursprung; er zwingt sogar den Feind, nach seinem Willen zu handeln, und führt ihn mit jedem Schritt dem Verderben näher. Als erfahrener Taktiker weiß er die Regeln der Gefechtslehre in neuen, ungewöhnlichen Gestalten vorteilhaft anzuwenden, oder er schafft sich ein eigenes System. Sich seiner Kraft bewusst, und im höchsten Selbstvertrauen, erkennt er dennoch die Grenzen seines Wirkungskreises; er betrachtet sich nur als das Haupt eines Körpers, in dessen Glieder eine eigene Tätigkeit und Lebendigkeit übergehen muss; und indem er die allgemeine Last auf mehrere Schultern verteilt, wird er der Mittelpunkt eines Strahlenkreises, gebildet aus den Talenten seiner Untergebenen, die er ausschließlich um sich zu versammeln wusste.

Quelle: Rumpf, H. F.: Allgemeine Real-Encyclopädie der gesammten Kriegskunst (Berl. 1827)

Glossar militärischer Begriffe