Twer

Twer, 1) [ehem.] russisches Gouvernement, wird von den Gouvernements Nowgorod, Jaroslaw, Wladimir, Moskau, Smolensk und Pskow umschlossen, umfasst 65.330,7 km² (1186,47 mi²). Das Gouvernement zerfällt in zwei Teile: den Nordwesten, ein hügeliges Plateau von 200 bis 300 m Höhe, und den Südosten, längs der Wolga und Mologa mit einer durchschnittlichen Erhebung von 100 bis 130 m. Sieben Mineralquellen sind im Gouvernement. An sonstigen Mineralschätzen hat es nur reiche Torflager. Der wichtigste Fluss ist die Wolga, die innerhalb des Gouvernements eine Länge von beinahe 665 km hat und von rechts die Wasusa, Schoscha Dubna, von links die Selisharowka, Twerza, Medwjediza und Mologa aufnimmt, die alle schiffbar sind. Unter den Hunderten flachuferiger Seen sind der Seliger, Ochwat-Shedeny, Stersh, Mstino, Udomlja die größten. Das Areal setzt sich zusammen aus 34 Prozent Wald, 26,4 Wiese und Weide, nur 27,5 Acker- und 12,1 Prozent Unland. Die großen Wälder bestehen im Norden vorzugsweise aus Tannen und Kiefern, im Süden aus Birken und Erlen. Die mittlere Jahrestemperatur der Stadt Twer beträgt 3,9°. Unter den (1897) 1.769.135 Einwohnern des Gouvernements (27 auf 1 km²) sind 180.000 Karelen. Die Landwirtschaft liefert hauptsächlich Getreide und Flachs. 1905 wurden geerntet in metrischen Tonnen: Roggen 316.077, Hafer 191.208, Gerste 34.948, Kartoffeln 357.553. Im Flachsbau nimmt Twer unter den russichen Gouvernements die zweite Stelle ein (nach Smolensk). Geerntet wurden 1903: 281.784 dz Flachsfaser. Die Viehzählung ergab 360.000 Pferde, 689.000 Rinder, 610.000 grobwollige Schafe und 61.000 Schweine. Ansehnlicher ist die Fischerei, namentlich im See Seliger. Die Hausindustrie ist ziemlich entwickelt; es beschäftigen sich die Bauern mit dem Verfertigen von Holzgegenständen und Hausgeräten oder mit Schmiedearbeiten (Beile, Sensen, Nägel etc.). Torshok erfreut sich eines trefflichen Rufes durch seine Saffianarbeiten. Die Industrie wurde 1900 von 390 Anstalten mit 32.323 Arbeitern betrieben und bringt für 37,4 Mill. Rubel Waren hervor. Besonders entwickelt sind: Baumwollspinnerei (16,1 Mill. Rubel), Getreidemüllerei, Spiritusbrennerei und Schnapsfabrikation, Papier-, Leder-, Fayenceindustrie etc. Der Handel konzentriert sich hauptsächlich auf Rshew, Torshok, Bjeshezk und Bologoje. Als hauptsächlichste Handelsobjekte erscheinen außer den Industrieerzeugnissen Getreide, Flachs und Holz. Twer zerfällt in zwölf Kreise: Bjeshezk, Kaljasin, Kaschin, Kortschewa, Nowotorshok, Ostaschkow, Rshew, Stariza, Subzow, Twer, Wessjegonsk und Wischne-Wolotschok.

Das Land war einst von den finnischen Wessen bewohnt, die von den eindringenden Slawen meistens nach Norden gedrängt wurden. Ob die Kurgane (Grabhügel) an der Mologa finnischen oder slawischen Stämmen angehörten, ist unentschieden. Nach der Teilung Russlands unter die Söhne Jaroslaws im 12. Jahrhundert wurde das Land unter die Fürsten von Nowgorod, Smolensk und Susdal geteilt. Während der inneren Fehden im 12. Jahrhundert entstand das Fürstentum Twer; 1484 ward es mit Moskau vereinigt.

Twer, 2) Hauptstadt des gleichnamigen russischen Gouvernement (s. oben), liegt an der Petersburg–Moskauer Eisenbahn, zu beiden Seiten der hier 213 m breiten Wolga, die hier die Twerza und Tjmaka aufnimmt, und deren Ufer durch eine Schiffbrücke verbunden sind, hat schöne Plätze, Straßen und Anlagen, ein kaiserliches Palais, eine Kathedrale und 36 andere Kirchen (darunter eine evangelische), drei Klöster, ein geistliches Seminar, ein klassisches Gymnasium, eine Realschule, eine Kavallerie-Junkerschule, ein Lehrerinnenseminar und Mädchengymnasium, ein Theater, ein Denkmal Katharinas II., ein reichhaltiges archäologisches Museum, vier Banken und (1900) 45.644 Einwohner. Die Industrie ist bedeutend; zu nennen sind die große Twerskaja Baumwollenmanufaktur, Waggonfabrik, mehrere Getreidemühlen, zwei große Wachskerzenfabriken und eine Bierbrauerei. Als Eisenbahnstation und Wolgahafen (von hier aus wird die Wolga von Dampfschiffen befahren) hat Twer ansehnlichen Zwischenhandel. Es ist Sitz eines griechisch-orthodoxen Erzbischofs. Unweit der Stadt befinden sich zwei eisenhaltige Mineralquellen, das Sheltikow-Kloster und das Mönchskloster des heil. Nikolaus. Twer wurde 1182 als fester Platz gegen den Freistaat Nowgorod angelegt; 1763 zerstörte eine Feuersbrunst die ganze Stadt, die aber bald wieder aufgebaut wurde.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

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