Verfolgung

Verfolgung.

Verfolgung des Feindes, nachdem derselbe aus dem Felde geschlagen ist, führt zur vollständigen Benutzung des Sieges, wenn sie rasch und nachdrücklich, mit gehöriger Vorsicht und Umsicht geschieht. Die dabei auszuführenden Maßregeln ergeben sich unmittelbar aus der Lehre vom Rückzuge, und man kann daher auch, wie diesen, die Verfolgung in zwei Hauptperioden abteilen, von denen die erste die Verfolgung des Feindes gleich nach der Schlacht, die zweite aber die fernere Beunruhigung seiner Marschlinie in sich begreift.

Bei der ersten Periode wird man dahin trachten müssen, den Feind zu verhindern, dass er sich in einer neuen Stellung wieder setzt; und hieraus folgt die Regel, dass die erste Verfolgung eines geschlagenen Feindes nicht hitzig genug geschehen kann; ja sie muss sogar in der Nacht, und überhaupt so lange fortgesetzt werden, bis man auf ernsthaften und planmäßigen Widerstand stößt; nur dadurch allein kann es gelingen, das Ganze des feindlichen Heeres über den Haufen zu werfen, und völlig zu zerstreuen. Hat der Feind aber seine neue Stellung erreicht, so ist die erste Periode der Verfolgung vorüber, und sie dann noch fortsetzen wollen, hieße nur, sich blutige Köpfe holen, wo nicht gar, sich durch unglückliche Begebenheiten die Früchte des Sieges gänzlich wieder entreißen lassen.

Die zweite Periode wird Tags darauf ihren Anfang nehmen, und bei derselben kann die Verfolgung nicht besonnen, nicht planmäßig genug betrieben werden. Der Feind hat in der Regel eine starke Arrieregarde zurückgelassen, und mit der Armee einen Vorsprung gewonnen. Aber dieser Vorsprung ist die Frucht eines Nachtmarsches, und Nachtmärsche, mit einer geschlagenen Armee ausgeführt, wirken oft zerstörender auf sie, als Gefechte. Deshalb muss die Verfolgung mit dem ersten Schimmer des Tages wieder ihren Anfang nehmen, damit die feindliche Armee gezwungen wird, mit Einbruch der Nacht von Neuem abzumarschieren; so wird ein Nachtmarsch dem anderen folgen, und der Feind sich immer mehr und mehr in sich selbst auflösen. Begeht man aber am Anfang der Verfolgung einen Rechnungsfehler in der Zeit, und versteht die feindliche Arrieregarde geschickt zu manövrieren, dem man nicht eben so geschickt entegegen arbeitet, so können die aus solchen Fehlern entstehenden Nachteile nicht wieder eingebracht werden, und die eine Hälfte der Frucht des Sieges ist verloren.

Man verfolgt den Feind, entweder um ihn von Neuem zu einem allgemeinen Gefechte zu zwingen, indem man so lebhaft auf seine Arrieregarde drückt, dass er sich genötigt sieht, sie mit seiner Armee zu unterstützen, oder auch, um die schon erhaltenen Vorteile überhaupt zu benutzen. In beiden Fällen darf man aber die feindliche Arrieregarde nicht allein in der Fronte drängen, denn man findet sie auf diese Art bei jedem Defilé auf einem vorher gewählten, und nur in wenigen Punkten zugänglichen Schlachtfelde. Man sieht sich genötigt, einen Teil der Truppen zu entfalten, das Terrain und die zugänglichen Punkte zu rekognoszieren, und Zeit und Menschen zu verlieren, um den Feind anzugreifen. Unterdessen zieht sich die Arrieregarde wieder ab, sobald sie uns in Bereitschaft zum Angriff sieht, und erfüllt so ohne Gefahr ihre Bestimmung, die Verfolgung zu verzögern, und Zeit zu gewinnen. Wenn man aber, im Gegenteil, die Straße verlässt, um gegen die Flanken der Arrieregarde zu manövrieren, so wird sie gezwungen, sich fast ohne Gefecht stets zurückzuziehen, und unser Marsch wird nur wenig verzögert; beharrt der Feind darauf, eine Stellung trotz der Umgehung zu behaupten und zu verteidigen, so setzt er sich der Gefahr aus, vernichtet zu werden; leistet er seiner Arrieregarde durch die Armee Unterstützung, so ist unser Zweck erreicht; er muss sich hierbei entfalten, und wieder zusammenfalten, für ihn höchst gefährliche Manöver; sein Marsch wird aufgehalten, und indem wir unterdessen unsere Hauptmasse heranziehen, kann er nur einer neuen allgemeinen Schlacht, die für ihn unter diesen Umständen höchst gefährlich sein würde, durch Aufopferung eines bedeutenden Teils seiner Streitkräfte entgehen.

Man schickt daher zur Verfolgung des Feindes eine hinreichend starke Avantgarde, aus leichter Infanterie und Kavallerie bestehend, mit reitender Artillerie versehen, ab, und unterstützt sie durch eine Hilfskolonne. So viel als es die Gegend erlaubt, marschiert diese rechts oder links der Straße, folgt den Höhenzügen, welche mit der Straße gleichlaufend sind, sucht ohne Unterlass die Arrieregarde zu überflügeln, und bedroht ihre Flanken und Rücken; zu gleicher Zeit beunruhigt die Hauptkolonne den Feind auf der Straße, in der Fronte, und dieser muss man schwere Artillerie beigeben, als eins der kräftigsten Mittel, den Feind um so eher über den Haufen zu werfen. Auf diese Weise wird man es dahin bringen, dass die Arrieregarde die stärksten Stellungen von selbst verlassen muss.

Da der Feind bei allen Rückzügen vorzüglich darauf bedacht sein wird, die mehr oder weniger verloren gegangene Ordnung wieder herzustellen, so wird man dahin streben müssen, diese immer von Neuem wieder zu zerstören, oder ihre Herstellung zu verhindern. Hierzu dient besonders, dass die richtige Entfernung, welche die geschlagene Armee von ihrer Arrieregarde halten muss, durch unser Nachdrängen verloren geht, welche der Feind nun nicht anders als durch Nachtmärsche wieder herstellen kann; kühne Umgehung einer geschickten Reiterei, und die Anstrengung der Arrieregarde in der Fronte, durch schweres Geschütz, wirken, wie schon gesagt, besonders darauf hin, den Feind auf seine Hauptarmee zurückzuwerfen.

Sobald die Straße sich teilt, um sich einige Zeit später wieder zu vereinigen, wird man darauf bedacht sein, diejenige einzuschlagen, die der Feind zu besetzen unterlassen hat, oder welche er am schwächsten verteidigt, um ihm zuvorzukommen, oder wenigstens gleichzeitig mit ihm auf dem Wiedervereinigungspunkt der Straßen einzutreffen. Im letzteren Falle wirft man sich auf die Queue und Flanken seiner Kolonne, die er nur äußerst schwer unterstützen kann, und auch das zuweilen nicht ohne allgemeines Gefecht, was seiner Absicht zuwider läuft. Ist man ihm zuvorgekommen, so hat man die Wahl, entweder seinen Rückzug abzuschneiden, oder ihn in der Flanke anzugreifen; das erstere ist zwar das entscheidendere, aber das zweite das klügere. Man muss fest überzeugt sein, zu siegen, wenn man es unternehmen will, dem Feinde den Weg zu verlegen; denn es kann keiner den anderen umgehen, ohne selbst umgangen zu sein, und beide Teile werden sich in einer gleich kritischen Lage befinden, welche die Vernichtung des Einen oder des Anderen herbeiführen muss. Die Verzweiflung des Feindes ist fast immer zu fürchten, und es ist gewiss ratsamer, die Vermehrung seiner Kraft und Verwegenheit, indem man ihm kein anderes Mittel übrig lässt, zu vermeiden. Wenn man sich begnügt, seine Kolonnen in die Flanke zu nehmen, anstatt sich quer vor den Weg zu legen, so hat man freilich nur mäßige, aber doch sichere Vorteile, und läuft nicht Gefahr, selbst aufgerieben zu werden; man muss daher sein eigenes Dasein nicht aufs Spiel setzen, ohne jedoch dem Feinde eine goldene Brücke zu bauen.

Es ist eine der schwersten des ganzen Krieges, die Verfolgungskunst; denn wie oft hat man nicht gesehen, dass eine in Verfolgung des flüchtenden Feindes aufgelöste Armee plötzlich durch einige Reserven aufgehalten und zurückgeworfen wurde; dass eine Avantgarde, sich der Verfolgung mit zu vieler Hitze hingebend, plötzlich sich mitten unter den Feinden befand, umzingelt und in Stücken gehauen wurde; dass einzelne, auf die Flanke des Feindes geschickte Korps, von der übrigen Armee getrennt, und vernichtet oder gefangen wurden; dass ein ohne Umsicht und Ordnung verfolgter Feind plötzlich die Straße verließ, sich auf die Flanken der verfolgenden Kolonne warf, sie überraschte und von Grund aus zerstörte; dass die Tete einer Kolonne am Ausgang eines Defilés ihren Tod fand, usw. Zweierlei sind hier die Fehler des Verfolgenden; Nachlässigkeit und Dünkel, die so oft den Sieg begleiten, die Unterlassung aller vorgeschriebenen Sicherheitsmaßregeln herbeiführen, wo man sich, ohne den Marsch aufgeklärt zu haben, in Défiléen einlässt, und in Verstecke fällt; oder eine zu sehr zögernde Umsicht, welche die besten Gelegenheiten entschlüpfen lässt.

Über die Fortsetzung der Kriegsoperationen nach einer gewonnenen Schlacht, und über die Art, in dem feindlichen Lande vorzudringen, sind die Meinungen verschieden. Einige behaupten, das fernere Vordringen hänge einzig von der Basis, von den Magazinen ab; Andere wollen sich dabei ganz auf das Requisitionssystem verlassen; es scheint aber das eine so viel Widerspruch zu erleiden, als das Andere. So wenig der Unterhalt der Truppen unter allen Umständen auf das Requisitionssystem allein zu begründen sein wird, das nur in einem sehr reichen und fruchtbaren Lande möglich und statthaft ist, eben so wenig scheint es geraten, den Begriff einer Basis engsinnig an die Magazinalverpflegung allein zu knüpfen. Im Gegenteil, eine Basis, wie sie sein soll, wird sich wohl auf die Ergänzungsstoffe aller Art, als Munition, Bekleidung, Rekruten etc., und nicht bloß auf die Verpflegung allein ausdehnen müssen. Kann es nun dahin gebracht werden, beides mit einander in Verbindung zu setzen, so würde dadurch auch dem Zweck am kürzesten und sichersten zu erreichen sein, wobei die Verpflegung aus dem Lande, der Magazinalverpflegung die Hand reichen muss. Nur unter diesen Voraussetzungen wird eine ungewöhnliche Entfernung von der Basis überhaupt möglich und ausführbar sein.

Beim weiteren Vordringen im feindlichen Lande wird es nicht hinreichend bleiben, eine Reihe von Festungen im Rücken zu haben, sondern diese Reihe, die Basis, wird auch mit einer Reservearmee besetzt sein müssen; nicht nur, um den Ausfall decken zu können, sondern auch noch zu anderen Zwecken. Dahin gehört z. B. die Ausarbeitung der jungen Mannschaft, welches nicht in eigenen Lande, im Mittelpunkt der Kräfte selbst, sondern bei der Reservearmee geschehen muss. Hier wird sie in den Waffen geübt, und erst, wenn sie völlig ausgebildet, und mit allem Nötigen der Ausrüstung zu versehen ist, geht sie zur aktiven Armee ab. Die Reservearmee sorgt ferner für die Sicherheit der Transporte, und hierzu können oft die schon einigermaßen ausgearbeiteten Rekruten verwendet werden. Mit einem Worte: die Basis wird als eine Zwischenlinie zwischen dem eigenen Lande und der Armee zu betrachten sein; fasst man die Anlage einer Reservearmee nicht gleich von Anfang an ins Auge, so wird sich auch keine solche Basis bilden lassen; der Krieg wird dann eine bloße Invasion (Einbruchskrieg), die zwar oft zum glücklichen Ziele führt, oft aber auch nicht.

Überhaupt ist also, wie die Umstände auch sein mögen, die Natur und der Charakter des Krieges wohl zu erwägen, wenn über die Fortsetzung der Kriegsoperationen abgesprochen werden soll. Es ist nicht genug, das Land des Feindes zu durchlaufen, man muss es auch besetzen und behaupten; sonst schlägt, wenn uns ein Unfall trifft, die Flamme der Insurrektion von Seiten der Einwohner, hinter und neben uns empor, und begräbt uns unter den Trümmern des allzu verwegen aufgeführten Gebäudes.

Quelle: Rumpf, H. F.: Allgemeine Real-Encyclopädie der gesammten Kriegskunst (Berl. 1827)

Verfolgung, Ausnutzen eines Sieges durch unmittelbares Nachdrängen, um den Feind an neuer Gegenwehr zu hindern. Sie ist zur vollen Entscheidung eines Gefechtes etc. unbedingt nötig, wird aber infolge der aufreibenden Einflüsse einer Schlacht selten ausgiebig geleistet (Napoleon nach der Schlacht bei Jena, die Verbündeten nach der Schlacht bei Waterloo).

Bibliographie

  • Liebert, Über Verfolgung (2. Aufl., Berl. 1894)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Glossar militärischer Begriffe