Isis

Isis.

Isis (ägypt. Iset, Ise, Ese), ägyptische Göttin, die ursprünglich nicht der großen Zahl der ägyptischen Volksgottheiten angehört, sondern dem Mythos und der theologischen Spekulation ihre Bedeutung verdankt. Isis ist die Gemahlin des Osiris, die zusammen mit ihrer Schwester Nephthys den von Seth ermordeten Gatten betrauert; in den Sümpfen gebiert sie den Horos (Harsiësis = Horos, Sohn der Isis); nachdem sie nach langen Irrfahrten den Leichnam des Osiris gefunden hat und dieser von Seth zerstückelt und zerstreut worden ist, sucht sie die einzelnen Teile und bestattet sie.

Durch die Theologie von Memphis wird Isis als Himmelsgöttin ausgegeben und mit den lokalen weiblichen Gottheiten (Hathor, Mut, Neit) identifiziert, die dadurch gleichfalls zu Himmelsgöttinnen werden. Bereits in der Osirislegende ist Isis im Besitze mächtiger Zaubermittel, sie ist »klüger als alle Götter«; daher tritt sie uns als die »große Zauberin«, als Göttin der Magie, entgegen, die dem Kranken zu helfen vermag, wie sie einst der Sage nach dem Herus und Seth die im gegenseitigen Kampf erlittenen Wunden geheilt hat. Um dieser Eigenschaft willen und wohl auch infolge der immer steigenden Popularität der Osirissage nimmt das Ansehen der Isis seit dem neuen Reiche sehr stark zu. Seit dem Ende des neuen Reiches werden ihr besondere Tempel erbaut und Kulte eingerichtet; als »Herrin der Pyramide« baut ihr König Psusennes (22. Dynastie) bei der Cheopspyramide ein kleines Heiligtum, Amasis errichtet ihr in Memphis einen großen Tempel; das berühmteste Isisheiligtum auf der Insel Philä, das nicht nur von Ägyptern, sondern auch von den Nubiern und Blemyern besucht wurde, verdankt Nektanebos, dem letzten einheimischen Pharao (360–342 v. Chr.), und den Ptolemäern seine Ausbauung.

Ursprünglich wurde Isis als Frau dargestellt, die als Abzeichen den »Thron« (Fig. 1), die Hieroglyphe ihres Namens, auf dem Kopf trug; durch die Identifizierung mit der Geiergöttin Mut, der Gemahlin des Ammon, erhielt sie den eigenartigen Kopfputz der Geierhaube, während ihr von Hathor die Kuhhörner mit der Sonne übertragen wurden; in ihrer besonderen Eigenschaft als mütterliche Gottheit erscheint sie sitzend und dem kleinen Horos die Brust reichend (Fig. 2).

Als die Griechen im 7. Jahrhundert nach Ägypten kamen, lernten sie Isis als die oberste Göttin des ägyptischen Pantheons kennen und glaubten, dass sie nichts anderes als die Jo, die Mutter des Apollo (Horos) sei; gewöhnlich jedoch stellten sie Isis der großen griechischen Mysterien- und Naturgöttin Demeter (wie Osiris dem Mysteriengott Dionysos) gleich und übertrugen alle Eigenschaften der letzteren auf Isis. In der Ptolemäerzeit verbreitete sich der Isiskultus ebenso wie der des Serapis in der ganzen griechisch-orientalischen Welt und fand hier die größte Zahl von Verehrern.

Isis erlangte in der Fremde so sehr das Bürgerrecht, dass Plutarch ernsthaft glaubte, der Name und Kult der Isis seien griechischen Ursprungs; man denke auch an die zahlreichen mit Isis zusammengesetzten Personennamen, wie Isias, Isidoros u. a. Nachdem Alexandria Sitz des Welthandels geworden, beherrscht Isis auch das Meer; sie erfindet das Segel, wird besonders an Handelsplätzen verehrt, und die durch sie vom Schiffbruch Geretteten stiften ihr Votivtafeln (daher ihr Name Pelagia, Pharia).

Fig. 3: Isis und Horus, München.

In Rom kam der Isisdienst zu Sullas Zeiten auf. Zwar wurde er wegen des dadurch gegebenen Anstoßes durch einen Senatsbeschluss vom Kapitol wieder verbannt, später auch der Privatkult der Isis und des Serapis verboten, sogar ihr Tempel niedergerissen; aber eben diese öfters wiederholten gewaltsamen Reaktionen beweisen, welchen Anklang der Isiskult in Rom gefunden hatte. Gleichwohl kam erst mit den Kaisern aus dem Flavischen Haus eine günstigere Zeit für den ägyptischen Kult. Domitian gründete ein Iseum und Serapeum, und seitdem wetteiferten die Kaiser in Begünstigung und Verherrlichung des Isisdienstes, den erst das aufkommende Christentum, wenn auch nur langsam, verdrängte. Der Kult der Göttin bestand in Lustrationen, Festzügen, geheimen, oft zu sinnlicher Lust missbrauchten Weihen. Griechen wie Römer pflegten im Frühling, sobald das Meer wieder schiffbar geworden war, einen feierlichen Umzug zu halten und der Göttin ein Schiff darzubringen (Navigium Isidis, 5. März).

Tacitus berichtet, dass auch die Sueben der Isis geopfert hätten, wobei natürlich nur eine germanische Gottheit anzunehmen ist, deren Name uns verloren gegangen (Grimm denkt an Berchta oder Holda). Die alexandrinisch-römische Kunst hat die ägyptische Gestalt der Isis wesentlich umgeformt, ihr die steif gefaltete Tunika und ein mit Fransen besetztes, auf der Brust geknotetes Obergewand gegeben, dazu in der Rechten das Sistrum und auf dem Haupt die Sonne. Neben ihr steht gewöhnlich der Knabe Horos (Harpokrates) mit dem Zeigefinger am Mund und dem Füllhorn in der Linken. So zum Beispiel in der Münchener Gruppe (Fig. 3).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Figuren der Antike