Kleinrussland

Kleinrussland, 1) sonst [kolonialrussischer] Name für die Ukraine, so weit sie von den Kosaken bewohnt war, zum Teil im ehemaligen Polen gelegen; 4137 mi², 6.125.000 Einwohner; begriff die Provinzen Kyiv, Nowgorod, Sewersk, Tschernigow, einen Teil von Charkiw, Kursk und Jekaterinoslaw. Im Jahre 882 war die Residenz des russischen Großfürstentums von Nowgorod nach Kyiv verlegt worden. Bei den Teilungen des Russischen Reiches in: 11. Jahrhundert hatte der Großfürst von Kyiv gewissermaßen die oberherrliche Gewalt über die anderen Großfürstentümer auszuüben. Doch schon 1157 machte sich der Großfürst von Wlademir unabhängig, Kyiv selbst wurde 1240 von den Mongolen erobert und zerstört. Die Ohnmacht der russischen Großfürsten während der Mongolenherrschaft benutzte nun der Großfürst Gedimin von Lithauen, um ihnen 1320 die Hauptstadt Kyiv und den größten Teil des dazu gehörigen Großfürstentums zu entreißen. Mit Lithauen kam das Land 1386 an das Königreich Polen, bei dem es bis 1654 blieb. Die Benennung Kleinrussland scheint in der zweiten Hälfte des 14. oder im 15. Jahrhundert aufgekommen zu sein, um diese lithauisch-polnische, den Russen abgenommene und daher auch meist von Russen bewohnte Provinz charakteristisch zu bezeichnen, und zwar im Gegensatz zu dem eigentlichen, größeren Russland, für das nun der Name Großrussland entstand. Späterhin sagte man statt Kleinrussland gewöhnlich Ukraine, was so viel wie Gegensatz bedeutet. Im Russischen heißt Kleinrussland Malaja Russia, daher wurden die Kleinrussen auch wohl Molorussen genannt. Kleinrussland ist der Stammsitz der Kosaken, welche stets nach ihrer eigenen militärischen Verfassung gelebt hatten. Als die polnischen Könige diese antasteten, unterwarfen sie sich durch einen zu Pereaslawl 1654 abgeschlossenen Vertrag den Großrussen, und so kam ihr Land wieder zum Russischen Reiche. Ein Teil von Kleinrussland wurde 1797 zu einer eigenen Statthalterschaft von 1140 mi² und 1.500.000 Einwohnern mit der Hauptstadt Tschernigow erhoben, unter dem Kaiser Alexander aber in die Statthalterschaften Tschernigow und Poltawa getheilt; 2) jetzt die vier Gouvernements Kyiv, Tschernigow, Pultawa und Charkiw; umfasst 3806 mi² mit über 6 Millionen Einwohnern.

Quelle: Pierer’s Universal-Lexikon 4. Auflage 1857–1865

Kleinrussland, [kolonialrussische] Bezeichnung der vier im [ehem.] südwestlichen Russland gelegenen Gouvernements Kyiv, Poltawa, Tschernigow und später Charkiw, die das Zentrum und die ursprüngliche Heimat des süd- oder kleinrussischen Stammes (s. Russen) darstellen. Die drei erstgenannten Gouvernements bildeten, als Oleg seine Hauptstadt von Nowgorod nach Kyiv verlegte (Ende des 9. Jahrhunderts), den Kern des russischen Reiches, das jedoch 1170 in Wladimir (s. d.) eine neue Hauptstadt erhielt. 1237 wurde Kleinrussland durch die Tataren verwüstet. Im 14. Jahrhundert kam es an Litauen. Damals kam der Name Kleinrussland auf. Mit Litauen fiel Kleinrussland 1386 an Polen. Die kleinrussischen Kosaken lehnten sich oft auf; nach der Einführung der kirchlichen Union 1596 begann ein ununterbrochener Krieg zwischen den Kosaken und den Polen, der erst 1686 mit der Abtretung der Stadt Kyiv an Russland endigte. 1793 fiel dann auch die polnische Ukraine (auf dem westlichen Ufer des Dnjepr) mit Wolynien, Podolien und dem jetzigen Gouvernement Kyiv an Russland. 1801 unter Katharina erfolgte die jetzige Teilung Kleinrusslands in die oben genannten Gouvernements.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

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