Farbenharmonie

Farbenharmonie, die dem Auge wohltuende Zusammenstellung von Farben. Betrachtet man eine Landschaft durch ein farbiges Glas, so erhält man wohl einen merkwürdigen, aber keinen angenehmen Eindruck, der um so unangenehmer wird, je länger das Vorherrschen einer Farbe andauert. Ebenso empfinden wir es unangenehm, wenn die Intensität der Farben, z. B. durch Vorhalten von Rauchgläsern, allzusehr vermindert oder gebrochen wird (Grau in Grau), sowie wenn die Sättigung aller Farben zu klein (blasse, kraftlose Farben) oder zu groß wird (schreiende Farben). Nur wenn alle farbenempfindenden Nerven gleichmäßig in normaler Weise, wenn auch nicht gleichzeitig und in gleicher Art, in Tätigkeit gehalten werden, ist der Eindruck ein wohltuender. Eine Landschaft, in der das Grün der Wiesen und das Blau des Himmels die fast einzigen Farben sind, die wir wahrnehmen, verliert das Monotone, Unangenehme sofort, wenn z. B. Abend- oder Morgenrot hinzukommt, oder gelbliche und rötliche Färbung von Baumblättern etc. Zum Teil schafft sich das Auge allerdings die fehlenden Farben als Kontrastfarben (s. Gesicht) von selbst, da die Empfindsamkeit der gereizten Nerven sich rasch vermindert, so dass die im Weiß und Grau stets vorhandenen anderen Farben stärker wahrgenommen werden. Gerade in dieser Anstrengung des Auges beruht aber die Ursache der Disharmonie der Farben, sie muss dem Auge tunlichst erspart werden. Man könnte hiernach denken, dass Nebeneinanderstellung von gesättigten Komplementärfarben oder Ergänzungsfarben den besten Eindruck machen würde. Dies ist indes insofern nicht der Fall, als an der Grenze der Farben der Kontrast in besonders hohem Maß auftritt und infolge der steten Bewegung des Auges und der sich bildenden Nachfarben (s. Gesicht) die Grenze einen unruhigen, flimmernden Eindruck macht. Dies lässt sich verhindern, indem man die Komplementärfarben durch schwarze oder weiße Streifen oder glänzende Goldlinien voneinander trennt. Sodann ist der Eindruck deshalb ein wenn auch nicht geradezu unangenehmer, so doch, wie man zu sagen pflegt, charakterloser, weil wir die Vorstellung haben, dass da, wo Ruhe und Ordnung herrscht, ein einziger Herrscher gebieten, nicht zwei selbständige Gewalten unabhängig voneinander walten dürfen. Von den beiden Farben darf deshalb nur die eine, die Leitfarbe, gesättigt sein, die andere darf nur ungesättigt oder gebrochen auftreten, aber sie muss, damit die Sehnerven durch sie in gleicher Weise in Anspruch genommen werden, entsprechend größere Flächenausdehnung besitzen. Beispielsweise eine Uniform aus gleich großen Stücken von gelbem und blauem Tuch in gesättigter Färbung wäre unschön, der Eindruck wird aber ein guter, wenn nur kleine Lappen von gesättigt gelber Farbe auf einer großen Fläche von mit Schwarz oder Weiß vermischtem Blau (Dunkelgraublau, Hellgraublau) befestigt sind. Noch besser wird der Eindruck durch Hinzufügung von weißen oder schwarzen Streifen, z. B. in Form von Riemen etc.

Zweckmäßiger verwendet man an Stelle von Komplementärfarben sogen. Farbenakkorde oder Triaden aus drei Farben, die ebenso wie die Komplementärfarben zusammengemischt Weiß (bez. beim Übereinanderdrucken Schwarz) geben, d. h. auf dem Farbenkreis um Winkel von 120° auseinanderstehen z. B. Gelb, Rot, Blau oder Orange, Grün, Violett. Die dem 30teiligen Farbenkreis zu entnehmenden Triaden nebst den zugehörigen gebrochenen Farbentönen findet man in Tafeln zusammengestellt in Hoffmanns »Systematischer Farbenlehre«. Im übrigen gelten dieselben Grundsätze. Eine der Farben muss gesättigt sein und als Leitfarbe vorherrschen, darf aber nur relativ geringe Ausdehnung haben. Von den anderen beiden verwendet man zweckmäßig die eine als ungesättigte (mit Weiß vermischte), die andere als gebrochene (mit Schwarz vermischte). Beim Abgleichen der Farben darf das Auge die Farbe immer nur kurze Zeit betrachten, da sonst infolge der Nachfarben viele Täuschungen entstehen. Aus diesem Grund leistet die Farbenscheibe, nach deren Nummern die zusammengehörigen Farben eines Akkords sofort aufgefunden werden können, dem Techniker sehr gute Dienste. Es ist auch zulässig, zwei Farben einer Triade gesättigt zu verwenden, die dann gewissermaßen eine von zwei Komplementärfarben vertreten, der Eindruck verliert aber an Charakter, er wird milde (Harmonie der großen Abstände).

Ferner kann man mit Vorteil einer gesättigten Farbe verschiedene Schattierungen und Tonabweichungen derselben Farbe beifügen (Harmonie der kleinen Abstände), z. B. zu gesättigtem Blau, Hellblau oder Dunkelblau, doch muss ersteres mehr ins Grünliche, letzteres mehr ins Violette gehen nach dem Satz: »Kalte Lichter, warme Schatten oder warme Lichter, kalte Schatten«, wobei unter kalten Farben die gegen das blaue Ende des Spektrums, unter warmen die gegen das rote Ende gelegenen gemeint sind. Einen angenehmen Eindruck macht z. B. eine Reihe von Farbentönen, die vom Weiß bis ins Braunschwarz stufenweise aufeinander folgen, und zwar je gleicher abgesetzt and je zahlreicher, desto angenehmer. Im besonderen gelten noch folgende praktische Regeln: Rot und Grün stehen sich in der Höhe der Farbentöne am nächsten; Blau und Orange bilden schon einen größeren Gegensatz; Gelb und Violett sind nur erträglich, wenn das Gelb ins Dunkelgrün spielt und das Violett hell ist; Grün und Violett passen besser zusammen als Blau und Violett. Das Weiß erhöht in den benachbarten Farben den Ton und stärkt die Intensität, es dient deshalb hauptsächlich zu Kontrastharmonien. Das Schwarz bildet gute Harmonien mit dunklen und gute Kontraste mit hellen Farben. Blau und Violett passen sehr gut zu Schwarz, dann der Reihe nach: Rot und Rosa, Orange, Gelb (aber glänzendes) und Grün; letzteres gibt jedoch bei sehr überwiegender Fläche dem Schwarz ein rötliches, verblichenes Ansehen, z. B. schwarze Spitzen auf grünem Grund.

Grau vermag im Gegensatz zu Weiß mehrfach auch analoge Harmonien wie Schwarz zu bilden, doch ist es neben Blau und Violett weniger angenehm als Schwarz; mit Rosa gibt es einen faden Anblick, zu Orange passt es dagegen gut. Gefärbtes Grau wählt man am besten so, dass es die Ergänzung zur benachbarten Farbe enthält, z. B. Orange- oder Karmelitergrau zu Hellblau. Weniger angenehme Farbenzusammenstellungen können häufig durch Zwischensetzung von Weiß und Schwarz sehr verbessert werden. So passen von den Farben, die sich nicht zu Weiß ergänzen, Rot und Orange nicht gut zusammen, weil sie sich zu nahestehen; durch Zwischensetzung von Weiß wird aber das Verhältnis gebessert. Purpur und Grüngelb dagegen vertragen sich eher ohne Vermittlung. Rot und Blau passen nur, wenn sie weit auseinandergehen, und wenn Weiß dazwischentritt. Auch zwischen Blau und Orange wirkt Weiß verbessernd, dagegen nicht zwischen Gelb und Violett. Orange und Gelb neben Grün und Blau nehmen sich nicht gut aus, auch nicht, wenn Weiß dazwischentritt; für Grün und Blau allein ist die Zwischenstellung von Weiß notwendig.

Schwarz verbessert die Disharmonie zwischen einzelnen Farben oft noch besser als Weiß; es passt sehr gut zwischen Rot und Orange und ist zu empfehlen mit Rot und Gold, mit Orange und Hellgelb, mit Orange und Hellgrün. Schwarz passt immer gut mit dunklen Farben und gebrochenen Tönen der leuchtenden, weniger, wenn es neben eine dunkle und eine leuchtende kommt. Auch Grau dient häufig zur Verminderung oder Aufhebung von Disharmonien zwischen einzelnen Farben. Zwischen zwei Farben passt es dann besser als Weiß, wenn die eine dunkel, die andere leuchtend ist und beide zu viel kontrastieren, und besser als Schwarz, wenn die dunkle Farbe sehr überwiegt, z. B. bei Orange und Violett, bei Grün und Violett. Bei allen diesen Verbesserungen der Farbenharmonie kommt es jedoch auf die Tonhöhe und auf das Verhältnis der dunklen und leuchtenden Farben an; so ist z. B. Weiß bei Rot mit Orange um so weniger gut, je höher der Ton, während Schwarz zu den höchsten Tönen gut passt. Bei großer Disharmonie der zu trennenden Farben ist es immer besser, jede von der anderen, als je die Farbenpaare durch Weiß oder Schwarz zu trennen; so nimmt sich z. B. Weiß-blau-weiß-violett besser aus als Weiß-blau-violett-weiß; Schwarz-rot-schwarz-orange besser als Schwarz-rot-orange-schwarz. Diese Angaben beziehen sich sämtlich auf ziemlich gleiche Flächenausdehnungen; sind die Flächen sehr bedeutend verschieden groß, wie z. B. in Gärten verschieden große Blumenrabatten, so tritt manche Modifikation ein.

Anstatt gleichzeitig auftretende Farben in Harmonie zu bringen, kann man ähnlich wie bei Tönen auch harmonische Farben nacheinander auftreten lassen, gewissermaßen Farbenmelodien herstellen. Dies bezwecken die sogen. Farbenspiele (Chromotrope), Chamäleonkreisel, das Kaleidoskop und das Phoneidoskop. Castell hat sogar ein Farbenklavier konstruiert (1725–35), das für das Auge das sein sollte, was die musikalischen Instrumente für das Ohr sind; von Ruete verbessert, besteht es aus zwei Scheiben, die sich auf einer gemeinschaftlichen Achse mit wenig verschiedener Geschwindigkeit drehen. Die vordere Scheibe hat ein oder zwei gegenüberstehende Ausschnitte, und die hintere ist in mehrere, etwa zwölf, Sektoren geteilt, die abwechselnd mit Farbenakkorden versehen und schwarz oder weiß gefärbt sind, so dass die Farben der Akkorde Teile von konzentrischen Ringen bilden, während die anderen Sektoren ganz weiß oder ganz schwarz sind. Indem nun bei der Umdrehung immer ein anderer Teil der hinteren Scheibe in das eingeschnittene Feld der vorderen einrückt, sieht man einen Farbenakkord nach dem anderen bald aus dem Hellen, bald aus dem Dunkeln auftauchen und wieder verschwinden. Ist nun auch der Eindruck, der hierdurch hervorgebracht wird, ein angenehmer, so ist er doch nicht zu vergleichen mit dem eines ansprechenden Tonstückes. Die Ursache hiervon ist jedenfalls darin zu suchen, dass das Auge derjenige Sinn ist, der das Räumliche auffasst. Schöne Farben ohne schöne Formen gewähren deshalb nur geringen Genuss. Man hat auch schon früh eine gewisse Übereinstimmung zwischen der Harmonie der Farben und der Töne nachzuweisen versucht, und Hoffmeister setzte durch verschiedene Abänderung der Farben mehrere Oktaven zusammen, er konstruierte ganze und halbe Farben, Terzen, Quarten und Quinten, ohne indes mehr erreichen zu können als seine Vorgänger. Radicke (1839) sprach hingegen in seiner »Optik« zuerst aus, dass »beim Licht ein Zusammenhang vorhanden sei zwischen der Farbenempfindung und einer einfachen Proportionalität der Schwingungen wie beim Ton«. Hierauf gründete Unger (1852) sein Gesetz der Farbenharmonie und stellte eine Farbenskala auf, die mit der Anordnung der Töne in der Tonleiter übereinstimmt. Goldschmidt sucht ebenfalls beide Arten Harmonie durch eine einzige Formel auszudrücken. Alle diese Versuche kommen darauf hinaus, dass die Schwingungszahlen der Strahlen des Spektrums, denen die Farben des Farbenkreises entsprechen, nahezu eine Oktave umfassen, d. h. die Schwingungszahl des äußersten Violett (800 Billionen in der Sekunde) das Doppelte derjenigen des äußersten Rot (400 Billionen) ist, und wenn man diese Farben nach ihren Wellenlängen geordnet auf den Farbenkreis aufträgt, ungefähr dieselbe Anordnung entsteht, wie sie auf Grund der gleichen Abstände der Grundfarben und der Gegenüberstellung der Komplementärfarben erhalten wurde. Indes trifft dies nicht genau zu. Kolbe z. B., der eine solche Farbenscheibe gezeichnet hat, findet folgende Ausdehnungen: Rot von 15–45°, Orange bis 105, Gelb bis 165, Grün bis 211, Blau bis 316, Indigo bis 330 und Violett bis 340°. Zwischen 340 und 15° wäre Purpur einzuschalten.

Bibliographie

  • »Farbenkreis in 15 Abstufungen und 20 Anwendungstafeln. Nach Brückes Physiologie der Farben« (Wien 1877)
  • Chevreul: Des couleurs et de leurs applications aux arts industriels (Par. 1864)
  • Goldschmidt: Über Harmonie und Komplikation (Berl. 1901)
  • Guichard, Harmonie der Farben (Frankf. a. M. 1882)
  • Hoffmann: Systematische Farbenlehre (für Buchdruckereien, Zwickau 1892)
  • Jännicke: Die Farbenharmonie (nach Chevreul, Stuttg. 1902)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

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