Witebsk

Witebsk, 1) [ehem.] russisches Gouvernement, zu Westrussland gehörig, heute Woblasz Wizebsk in Belarus, grenzt an die Gouvernements Pskow, Smolensk, Mohilew, Minsk, Wilna, Kurland und Livland und umfasst 45.167,7 km² (820,3 mi²). Das Land ist im allgemeinen hügelig; in den Niederungen zwischen den Höhen liegen viele Seen und Sümpfe. Der bedeutendste Fluss ist die Düna, die auf einer Ausdehnung von 742 km dieses Gouvernement durchfließt und die schiffbaren Nebenflüsse Mescha, Kasplja und Ulla aufnimmt. Von den mehr als 2500 Seen sind die größten: der Lubahn (an der livländischen Grenze), Rasno, Newel, Sebesh und Oswea. Die Sümpfe nehmen etwa 4000 km² ein. Vom Areal entfallen 27,2 Prozent auf Äcker, 34,6 auf Wald 18,6 auf Wiese und Weide, 19,6 Prozent auf Unland. Das Klima ist im westlichen teil des Gouvernements milder als im östlichen. Die Bevölkerung, die sich 1897 auf 1.489.246 Einwohner belief (33 auf 1 km²), besteht aus Weißrussen (über 60 Prozent), Letten (17,9 Prozent), Großrussen (5 Prozent), Polen (4 Prozent) und Deutschen (1 Prozent). Der Religion nach gab es 61 Prozent Griechisch-Orthodoxe, 24 Prozent Römisch-Katholische, und 11,7 Prozent Juden. Haupterwerbszweige sind Ackerbau, Waldwirtschaft und Hausiergewerbe. Die Ernte lieferte 1905 in Tonnen: Roggen 174.627, Gerste 71.537, Hafer 112.520, Kartoffeln 417.576. Von Wichtigkeit ist der Flachsbau, der 1904: 54.380 Hektar einnahm und 13,9 Mill. kg Flachsfaser lieferte. Der Viehbestand bezifferte sich 1904 auf 588.000 Rinder, 412.000 grobwollige Schafe, 330.000 Schweine und 252.000 Pferde. Die Industrie ist unbedeutend. Man zählte 1900: 1291 gewerbliche Betriebe mit 6944 Arbeitern und 5 Mill. Rubel Produktionswert, wovon 2,8 Mill Rubel auf die Verarbeitung von Pflanzenstoffen entfallen. Der Handel, der seinen Hauptsitz in Witebsk und Dwinsk hat, ist besser entwickelt. Das Gouvernement zerfällt in elf Kreise: Witebsk, Gorodok, Lepel, Newel, Polozk, Sebeh, Welish, Drissa, Ljuzin, Reshiza und (Dünaburg) Dwinsk, von denen die vier letztgenannten in der Ordenszeit zu Livland gehörten und heute »Polnisch-Livland«, von den Landleuten aber Niflant und Inflant genannt werden.

Witebsk, früher ein Teils des Fürstentums Polozk, kam im 14. Jahrhundert an Litauen, fiel 1772 bei der ersten Teilung Polens an Russland, wurde 1796 mit Mohilew zur Statthalterschaft Weißrussland vereinigt, 1802 aber wieder davon getrennt und als eigenes Gouvernement organisiert.

Witebsk, 2), Hauptstadt des gleichnamigen russischen Gouvernements (s. oben), zu beiden Seiten der Düna, bei der Einmündung der Witba, Knotenpunkt der Eisenbahnen Riga–Orel und Witbesk–Shlobin, hat über 30 Kirchen (darunter drei römisch-katholische und eine protestantische), zwei Synagogen, mehrere Klöster (schönes Basilianerkloster), ein Knaben- und ein Mädchengymnasium, ein geistliches Seminar, ein Theater, große Kaufhallen, zwei städtische Banken, mehrere Fabriken, darunter eine neue große Flachsspinnerei, lebhaften Handel und (1897) 66.871 Einwohner (darunter über 60 Prozent Juden). Witebsk ist Sitz des 16. Armeekommandos.

Im Nordischen Krieg hielt die Stadt zu den Schweden und wurde dafür auf Peters d. Gr. Befehl niedergebrannt.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

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