Deutscher Bund
Deutscher Bund (hierzu die Karte »Deutschland während des Deutschen Bundes«), der auf der deutschen Bundesakte vom 8./10. Juni 1815 beruhende deutsche Staatenbund, bestand bis 1866. Sein Gebiet lag zwischen 5°41’ und 19°51’ östlicher Länge und zwischen 45°5’ und 54°52’ nördlicher Breite und grenzte im Norden an die Nordsee, Dänemark (Schleswig) und die Ostsee, im Osten an die außerdeutschen Provinzen Preußens (Preußen und Posen), an Russisch-Polen, die außerdeutschen Kronländer Österreichs (Galizien, Ungarn, Kroatien), im Süden an das Adriatische Meer, das österreichische (nicht deutsche) Istrien, Venetien, die Lombardei und die Schweiz, im Westen an Frankreich, Belgien und die Niederlande. Mitglieder des Bundes waren bei der Gründung 35 (zuletzt 31) monarchische Staaten und 4 Freie Städte; von den Ländern des späteren Deutschen Reiches gehörten nicht dazu die Provinzen Ost- und Westpreußen und Posen, ferner Schleswig-Holstein und Elsaß-Lothringen, dagegen gehörten zum Bund die deutschen Kronlande Österreichs, Liechtenstein und Luxemburg-Limburg. Während des Bestehens des Bundes traten folgende Gebietsveränderungen ein: Sachsen-Koburg erhielt einen Teil von Sachsen-Gotha mit der Stadt, aus einem anderen Teil wurde Sachsen-Altenburg gebildet, während Sachsen-Hildburghausen in Sachsen-Meiningen aufging; die drei anhaltischen Ländchen wurden zu einem Herzogtum Anhalt vereinigt, die beiden Hohenzollern in Preußen einverleibt; an Stelle des mit Belgien vereinigten französischen Teils von Luxemburg wurde die niederländische Provinz Limburg in den Bund aufgenommen.
Die Bevölkerungsziffer der einzelnen Bundesstaaten, die der Bundesmatrikel zu Grunde gelegt war, beruhte auf einer Zählung von 1818, und obwohl die Matrikel später mehrfach revidiert wurde, so wurden die Einwohnerzahlen doch nur bei Gebietsveränderungen abgeändert, wodurch ein von Jahr zu Jahr wachsendes Missverhältnis zwischen Bevölkerung und Beitragspflicht zu den Bundesleistungen entstand. Preußen hatte für seine zum Bundesgebiet gehörigen Provinzen z. B. nur 5⁄6 der auf Österreich ruhenden Quote zu zahlen und hatte dieses an Einwohnern schon bald überflügelt. Obwohl die nichtdeutschen Provinzen Österreichs und Preußens dem Bund nicht angehörten, so war auch in diesem die Zahl der nichtdeutschen Einwohner doch sehr erheblich. 1864 schätzte man die Zahl der Deutschen auf 37 Mill., und zwar 20 Mill. Ober- und 17 Mill. Niederdeutsche; außerdem gab es 7.900.000 Slawen, 550.000 Romanen, 6000 Griechen und Armenier. Von den Romanen waren 420.000 Italiener, 60.000 Wallonen und Franzosen, 10.000 Ladiner (in Tirol), 50.000 Furlaner (in Görz), 3000 Rumänen. Konfessionell hielten sich beide christliche Bekenntnisse ungefähr das Gleichgewicht, indem 1855 neben 22,3 Mill. Katholiken 10,2 Mill. Lutheraner, 9,3 Mill. Evangelisch-Unierte und 900.000 Reformierte geschätzt wurden. Daneben gab es noch 50.000 christliche Sektierer, 5000 nichtunierte Griechen und Armenier und ½ Mill. Juden.
Die Angelegenheiten des Bundes besorgte die Bundesversammlung, der sogen. Bundestag, der aus den bevollmächtigten Gesandten aller Bundesstaaten bestand und seinen Sitz in Frankfurt am Main hatte. Das Präsidium führte Österreich. Die Bundesversammlung bestand 1) als allgemeine Versammlung oder Plenum, in der Österreich und die 5 Königreiche je 4 (24), Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Holstein-Lauenburg und Luxemburg-Limburg je 3 (15), Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin und Nassau je 2 (6), die übrigen Staaten je 1 Stimme hatten, so dass mit diesen 25 Stimmen das Plenum 70 Stimmen zählte; 2) als engerer Rat (Bundesregierung), in dem Österreich, Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt (mit Hessen-Homburg), Holstein (mit Lauenburg), Luxemburg (mit Limburg) je 1 (11) Stimme, die übrigen Staaten Gesamt- oder Kuriatstimmen führten, nämlich die 12. die sächsischen Herzogtümer, die 13. Braunschweig und Nassau, die 14. die beiden Mecklenburg, die 15. Oldenburg, die anhaltischen und schwarzburgischen Häuser, die 16. die Fürstentümer Hohenzollern, Reuß, Liechtenstein, Lippe, Schaumburg-Lippe und Waldeck, die 17. die vier Freien Städte. Durch die oben erwähnten Gebietsveränderungen sank bis 1865 die Zahl der Virilstimmen im Plenum von 70 auf 65 herab. Das Plenum trat zusammen, wenn es sich um Abfassung oder Abänderung von Grundsätzen des Bundes, um organische Bundeseinrichtungen und sonstige gemeinnützige Anordnungen. um eine Kriegserklärung oder Friedensbestätigung oder um Aufnahme eines neuen Mitgliedes in den Bund handelte, und zwar fand hier keine Beratung, sondern nur Abstimmung statt, wobei Zweidrittelmehrheit entschied. Im engeren Rat entschied absolute Mehrheit. Die Sitzungen der Bundesversammlung waren teils vertrauliche zu vorläufiger Besprechung ohne Protokollaufnahme, teils förmliche. Die Protokolle der letzteren wurden bis zur Mitte des Jahres 1824 meistens, später nur manchmal, dann gar nicht mehr, zuletzt wieder in knapper Form veröffentlicht.
Nach der Bundesakte konnte jeder Untertan eines Bundesstaates Grundeigentum außerhalb seines Staates erwerben und besitzen, ohne deshalb höhere Abgaben zu bezahlen, auch in Zivil- und Militärdienst eines anderen Staates treten, wenn er der Militärpflicht im eigenen Vaterland genügt hatte. Artikel 13 hatte für jeden Staat eine landständische Verfassung gefordert; aber als wirklich in Süddeutschland konstitutionelle Verfassungen entstanden, da fasste der Bundestag 1819 aus Furcht vor der Revolution die Karlsbader Beschlüsse (s. d.).
Die Bundesakte erhielt eine Ergänzung in der Wiener Schlussakte (vom 15. Mai 1820), in der zwar der frühere Artikel 13 bestätigt, aber mehrere denselben einschränkende Bestimmungen getroffen wurden. Nach der Julirevolution ermahnte der Bundestag die Regierungen von neuem, dass sie den Übergriffen der Landstände wirksam entgegentreten sollten, und stellte für gewisse Fälle sein Einschreiten in Aussicht. Erst in der Revolution von 1848 wurden diese Ausnahmebestimmnngen aufgehoben.
Das wichtigste Bundesinstitut war die Armee (Bundesheer), deren Kriegsverfassung durch die Beschlüsse vom 9. und 12. April 1821 und 11. Juli 1822 festgestellt wurde. Das Heer sollte zur Verteidigung des Bundes wie jedes seiner Glieder dienen; es stand unter der Oberleitung der Bundesversammlung, der eine Militärkommission aus sieben stimmführenden höheren Offizieren hierfür unterstellt war. Die Stärke der aufzubringenden Kontingente wurde nach der Bevölkerungszahl von 1818 festgesetzt und bis zum Jahr 1860 noch sechsmal geändert; sie betrug 1 Prozent, der Ersatz ½ Prozent. 1855 wurde die Stärke auf 11⁄6, die Reserve auf ⅓ und der Ersatz auf ⅙ Prozent der Bevölkerung bestimmt. Nach dem letzten Beschluss der Bundesversammlung hierüber (vom 27. April 1861) zerfiel das Heer in 10 Armeekorps (in der in der obigen Tabelle angegebenen Weise), von denen das 1. bis 3. Österreich, das 4. bis 6. Preußen, das 7. Bayern, die drei letzten nebst einer Reservedivision von den übrigen Staaten gebildet wurden. Das Heer hatte eine Stärke von 553.028 Mann (426.635 Infanterie, 69.218 Kavallerie, 50.254 Artillerie, 6921 Pioniere) mit 1134 Geschützen. Bundesfestungen waren Mainz, Luxemburg, Landau in der Pfalz, Rastatt und Ulm, später auch Germersheim.
Obwohl von vorneherein eine einheitliche Regelung von Handel und Verkehr in den verschiedenen Bundesstaaten geplant war, so ist in der Tat doch nur eine teilweise Einigung erzielt worden. So bildeten sich der Preußisch-Deutsche Zollverein und der von Hannover geleitete Steuerverein, die 1851 miteinander vereinigt bis zur Auflösung des Bundes alle nicht österreichischen Bundesstaaten, mit Ausnahme von Mecklenburg-Schwerin, Holstein und den drei Hansestädten, zu einer zollpolitischen Einheit zusammenfassten. Durch einen Handels- und Zollvertrag trat dieser Deutsche Zollverein mit dem Österreichischen Zollverein 1853 in Verbindung. Auch wurden 1818 eine Wechselordnung und 1861 ein Handelsgesetzbuch für den Deutschen Bund eingeführt. Auf anderen Wirtschaftsgebieten fehlte die Einheit völlig: es gab innerhalb des Bundesgebiets 18 verschiedene Postverwaltungen, von denen die österreichische Liechtenstein, die preußische die anhaltischen Lande, Waldeck, die schwarzburgischen Unterherrschaften und Birkenfeld mit umfasste, während zum Thurn und Taxisschen Postverein Sachsen-Weimar, Sachsen-Koburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, Nassau, die schwarzburgischen Oberherrschaften, Hohenzollern, die preußischen und lippischen Lande und Frankfurt am Main gehörten. Im Münzwesen herrschte bis zur Münzkonvention von 1857 eine den Handel schwer schädigende Verschiedenheit: Preußen prägte aus einer kölnischen Mark sein (zu 16 Lot Silber) 14 Taler, Süddeutschland 241⁄2 Gulden oder 161⁄3 Taler, Österreich 20 Gulden oder 131⁄3 Taler. Während die Staaten des Zollvereins sich schon 1838 über das Wertverhältnis der süddeutschen Münzen zu den preußischen einigten, verzögerte sich die Einigung mit Österreich (inkl. Liechtenstein) bis zur genannten Konvention. Darin wurde statt der kölnischen Mark das Zollpfund, zu 500 g, als Einheit festgestellt; aus einem Pfund Feinsilber sollten in Norddeutschland 30 Taler, in Süddeutschland 521⁄2 Gulden (süddeutsche Währung) und in Österreich 45 Gulden geprägt werden. Doch blieb der 14-Talerfuß in beiden Mecklenburg bestehen und wurde auch von Hamburg und Lübeck angenommen, wo man bisher nach Mark Banko gerechnet hatte. Bremen rechnete nach Louisdoren (zu 5 Taler), Holstein-Lauenburg nach dänischen Reichstalern, Luxemburg wie der Zollverein und Limburg nach holländischen Gulden.
Die Bewegung von 1848 forderte eine Reform der Bundesverfassung im nationalen Sinne, und die deutsche Nationalversammlung erklärte 28. Juni 1848 den Bundestag für aufgelöst. Erst als die Bemühungen, Deutschland unter Preußens Führung zu einigen, scheiterten, führte Österreich im Mai 1850 den Zusammentritt des alten Bundestags herbei, und Preußen fügte sich nach der Demütigung von Olmütz (s. Deutschland, S. 824). Auch die in den Dresdener Konferenzen (s. d.) versuchte Reform des Bundes blieb erfolglos, der Zwist der beiden Großmächte über das Schicksal der Elbherzogtümer vielmehr führte 1866 zu seiner Auflösung. Schon 9. April hatte Preußen dem Bundestag den Entwurf einer Bundesreform vorgelegt; als aber Österreich die Entscheidung über Schleswig-Holstein vor den Bundestag brachte, erklärte Preußen dies für einen Bruch der Gasteiner Konvention und besetzte Holstein. Auf Österreichs Veranlassung wurde 14. Juni die Mobilmachung der nichtpreußischen Bundeskorps beschlossen, worauf Preußen sofort den Deutschen Bund für aufgelöst erklärte. Die zu Österreich haltende Majorität des Bundestags beschloss infolge der Kriegsereignisse 11. Juli, den Sitz desselben provisorisch nach Augsburg zu verlegen, siedelte 14. Juli dahin über und hielt 24. Aug. hier ihre letzte Sitzung ab.
Bibliographie
- Bülau: Geschichte der Deutschen 1806–1830 (Hamb. 1842)
- Fischer, K: Die Nation und der Bundestag (Leipz. 1880)
- Friedjung: Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859–1866 (5. Aufl., Stuttg. 1901, 2 Bde.)
- Ilse: Geschichte der deutschen Bundesversammlung (Marb. 1860–62, 3 Bde.)
- Kaltenborn, v.: Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806–1856 (Berl. 1857, 2 Bde.)
- Mayer: Corpus juris Confoederationis Germanicae, oder Staatsakten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes (3. Aufl. von Zöpfl, Frankf. 1847 bis 1869, 3 Bde.)
- Poschinger, v.: Preußen im Bundestag (Leipz. 1882–85, 4 Tle.)
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909