Offenbarer Angriff
Offenbarer, gewaltsamer Angriff, der Festung oder auch der Verschanzungen, wenn die Truppen im Angesicht des Feindes die Wegnahme der Festung mit der Gewalt der Waffen zu erzwingen suchen, ohne sich durch das Feuer der Besatzung abschrecken zu lassen, und ohne durch ein vorhergegangenes heftiges Artilleriefeuer den Widerstand der Besatzung zu schwächen, die Werke zu öffnen, und ersteigbar zu machen. Sowohl die schlechte Beschaffenheit der Werke eines Ortes, als eine geringe, mutlose, nur wenig wachsame Besatzung, lassen zuweilen für diese Art von Angriff der Festungen, einen günstigen Ausgang erwarten. Kann man hiermit einen Überfall verbinden, so ist das Gelingen der Unternehmung um so wahrscheinlicher; s. Überfall und Eskalade.
Mit dem Geschütz schießt man dabei die Tore, die aufgezogenen Brücken, und alle diejenigen Hindernisse ein, durch welche die Zugänge zu der Festung gesperrt sind, wozu man sich der 12-pfündigen Kanonen bedient, weil die 6-pfündigen nicht immer mit der hinreichenden Gewalt wirken, und die Granaten teils in zu hohem Bogen gehen, teils die Wahrscheinlichkeit des Treffens bei ihnen sehr vermindert ist. Die 12-pfündigen Kanonen dürfen nicht zu weit entfernt von dem zu beschießenden Gegenstand aufgestellt werden, damit man sicherer und mit größerer Gewalt trifft; auch müssen die Schusslinien senkrecht gegen das Ziel gerichtet sein. Die Haubitzen benutzt man, um diejenigen Plätze zu bewerfen, auf welchen sich die Garnison versammelt.
Wenn der Angriff gelungen ist, muss man sogleich alle zerstörten Verteidigungsmittel wieder in Stand setzen; werden aber die Truppen zum Rückzug gezwungen, so geschieht dies mit der größten Ordnung, und man verhindert den Feind, zu folgen. Die Artillerie ist hierzu am vorzüglichsten, wenn man sie eine schickliche Stellung nehmen lässt; die schweren Geschütze werden weiter rückwärts postiert, die leichten beschießen aber so lange wie möglich die Orte, aus welchen der Feind hervordringen kann, während die übrigen Truppen sich sammeln.
Nachdem die Sturmkolonnen sich auf den schon früher ausgesuchten, gedecktesten Punkten des Terrains festgesetzt, und soviel Truppen zurückgelassen haben, als zur Deckung der Arbeiter nötig sind, fangen diese sogleich an, sich auf dem Glacis einzuschneiden. Dies wird um so eher geschehen können, wenn man den Sturm kurz vor Sonnenuntergang unternommen hatte, da nun schon die Finsternis eingetreten ist. In der Nacht vervollkommnet man die Erdarbeiten, und mit grauendem Morgen führt die Artillerie die Breschebatterien darin auf. Alle bisher freigestandenen Truppen besetzen nunmehr die ausgehobenen Linien, und die Arbeiter werden abgelöst; die noch übrigen Anstalten gleichen denen beim förmlichen Angriff, und man versucht nun zum zweiten Male den Sturm, nachdem man sich Öffnungen in den Werken verschafft, und die Festung mit einem Bombardement heimgesucht hat.
Die Verteidigung gegen den offenbaren Angriff ist wie bei jedem anderen Sturm, oder Überfall; s. auch Verteidigung etc.
Quelle: Rumpf, H. F.: Allgemeine Real-Encyclopädie der gesammten Kriegskunst (Berl. 1827)