Handhabung der Geschütze
Handhabung, der Geschütze, setzt die Geschicklichkeit voraus, unter allen Umständen dieselben, dem vorhandenen Zweck gemäß, zu behandeln und zu handhaben. Hierzu gehört also nicht nur im Allgemeinen die Bedienung des Geschützes, sondern es kommen auch viele andere Fälle vor, wo besondere Handgriffe sehr nützlich sind. Nämlich:
1) Ein Geschütz auf ein Haus oder einen Turm zu bringen. Man schlägt oben ein Loch in die Mauer, und schiebt einen starken Balken hindurch, der mit seinem längeren Ende inwendig befestigt wird; an das kürzere Ende aber, außerhalb, befestigt man eine oder mehrere Rolle, weil nach den Gesetzen der Mechanik die Kraft durch die Anzahl der Scheiben vergrößert wird. Durch diese wird ein Tau gezogen, und an den Delphinen des Geschützes befestigt. Soll dasselbe in ein Fenster oder in eine andere Öffnung des Hauses oder Turms gebracht werden, so muss der hervorstehende Balken so lang sein, als die Länge des Geschützes von der Traube bis zu den Delphinen beträgt, und man befestigt zugleich ein schwächeres Seil an der Traube, weil es außerdem schwer sein würde, dem Geschütz beim Hinaufziehen die gehörige Richtung zu geben, und es nachher von hinten ins Fenster hineinzuziehen, damit es sogleich in die Lafette gelegt werden kann. An dem anderen Ende des Taus ziehen nun die Leute, (welche aber eben so schwer sein müssen, als das Geschütz) so dass das Geschütz hinauf geht; oder man bedient sich der Pferde, indem man das Tau unter einer horizontal befestigten Welle durchgehen lässt. Man kann auch oben ein Hebezeug anbringen, indem man sich nur zweier Schenkel mit der Welle bedient, den oberen Teil über die Wand hervorragen lässt, und ihn rückwärts mit Tauen befestigt. Nun wird das Tau um die Delphine geschlungen, über eine Rolle, und von da über die Welle geführt; man hebt dann durch Umdrehen der letzteren das Geschütz. Hat man kein Hebezeug, so nimmt man ein anderes Holz, das man als Welle gebrauchen kann, und gibt ihm eine Unterlage.
2) Ein Geschütz auf einen steilen Berg, Wall usw. zu bringen. Ist es ein flacher Berg, den man aber nicht mit dem gewöhnlichen Zug ersteigen kann, so bringt man erst die Pferde mit der Protze hinauf, befestigt darauf ein Tau an die Protze, und an die Achse der Kanone, deren Mündung man gegen die Protze gedreht hat, und stellt darauf einige Leute an den Schwanz der Lafette mit Hebebäumen, um sie zu dirigieren, die übrigen zum Schieben an die Räder. Jetzt ziehen die Pferde oben an; wo das Tau auf der Erde schleift, legt man Hebebäume als Walzen unter. Ist der Berg oben nicht flach, und kann man oben mit den Pferden nur seitwärts gehen, so gräbt man einige Fuß tief einen Pfahl ein, befestigt an demselben eine Rolle, führt durch diese das Tau, und lässt nun die Pferde anziehen. Kann man oben keine Pferde und Protze haben, so bringt man daselbt nur eine Rolle an, führt durch diese vom Geschütz aus ein Tau, und befestigt es nun an der Protze. Die Mannschaft wird zum Ziehen und Schieben beim Geschütz angestellt; die Pferde ziehen, vom Berge abwärts, an, so wird es sich hinauf bewegen.
3) Ein Geschütz ohne Lafette fortzubewegen, s. Bewegung.
4) Ein Geschütz ohne Brücke oder Fahrzeug über einen Fluss zu bringen, s. Fluss.
5) Ein Geschützrohr in die Lafette zu legen. Das Rohr, wenn es eine Kanone ist, wird ruch einige Artilleristen bei der Traube in die Höhe gehoben, so dass es auf die Mündung zu stehen kommt. Hierauf fahren einige Mann die Lafette heran, heben den Schwanz derselben in die Höhe, und schieben sie dergestalt an das Rohr, dass die Schildzapfen genau in die Unterpfannen zu stehen kommen, worauf die Pfanndeckel geschlossen werden. Endlich lässt man den Lafettenschwanz wieder herunter. Dies gilt aber nur von Kaonen von leichtem Kaliber.
Die 24-pfünder sind schon schwerer zu handhaben, und man kann sich bei ihnen folgender Methode bedienen: Die Lafette wird neben das auf der Erde liegende Rohr so parallel als möglich hingestellt; das zunächst am Rohr stehende Rad wird abgezogen, und dergestalt unter den Achsschenkel gelegt, dass die wieder vorgesteckte Linse in die Bohrung der Nabe zu stehen kommt, und daher verhindert, dass der Achsschenkel abgleite; das andere Rad wird fest verkeilt, so dass es auf dem Erdboden nicht weichen kann. Man legt ferner eine Schrotleiter, und in Ermangelung derselben zwei Balken, quer an die Schildzapfenpfannen, so dass die Achse derselben genau in die Mitte der Leiter zu liegen kommt. An die obere Felge des gegenüberstehenden Rades werden zwei Stricke angebunden, längs der Schrotleiter herunter gezogen, und einmal um das Rohr geschlungen, der eine dicht am Langfeld hinten, der andere mitten um das Bodenstück. Wenn beide Stricke angezogen werden, rollt das Rohr langsam die Leiter hinauf, wobei ein Mann einen Hebebaum in die Mündung steckt, um das Rohr immer in paralleler Richtung mit der Lafett zu erhalten. Wenn das Rohr oben auf der Lafette angekommen ist, werden zwei Rollstöcke vor und hinter dem Schildzapfenlager quer über gelegt, und auf denselben das Rohr so lange gedreht, bis die Delphine oben stehen. Durch Unterstecken eines Hebebaums wird nun ein Rollstock nach dem anderen fortgezogen, wodurch das Rohr sanft in die Pfannen gleitet.
Ist seitwärts kein Raum vorhanden, um auf die eben beschriebene Art zu verfahren, so wird ein Balken unter das Zapfenstück gelegt, um die Mündung des auf der Erde liegenden Rohres etwas zu erheben. Der Lafettenschwanz wird nunmehr dicht unter den Kopf des Rohres geschoben, die beiden Räder abgezogen, und das Rohr mittels zweier Rollstöcke von hinten auf den Lafettenwänden entlang, bis in das Zapfenlager gebracht. Zuletzt werden die Räder wieder aufgesteckt. Damit das Rohr nicht wieder zurücklaufen kann, wird ein Tau an die Delphine oder an die Schildzapfen befestigt, an dessen Ende zwei Mann vorne vor der Lafette angestellt werden.
Die Haubitzen werden entweder mit der Schrotleiter auf vorbeschriebene Weise, oder nach folgender Anleitung in die Lafetten gelegt. Man führt eine abgeprotzte Kanone gerade über das auf der Erde liegende Haubitzrohr, hebt den Lafettenschwanz in die Höhe, bis der Kopf der Kanone dicht über die Delphine der Haubitze zu stehen kommt, und bindet beide fest an einander; damit aber die Kanone sich nicht von dem Richtkeil abheben kann, wird sie mit der Traube an den Lafettenwänden festgebunden. Wenn nun der Lafettenschwanz der Kanone wieder auf die Erde herabgedrückt wird, hebt sich die Haubitze mit in die Höhe, und man fährt nun ihre Lafette so tief herunter, bis die Schildzapfen in die Pfannen zu liegen kommen.
6) Ein Geschützrohr aus der Lafette herauszunehmen. Nachdem die Pfanndeckel abgehoben sind, wird der Lafettenschwanz in die Höhe gehoben, bis das Rohr mit der Mündung auf die Erde zu stehen kommt; in dieser Lage wird es durch Hilfe einiger Leute senkrecht erhalten, während man die Lafette wegfährt. Ist das Rohr eine Haubitze, so werden beide Räder abgezogen, und die Lafette flach auf die Erde gelegt; es ist nunmehr leicht, die Haubitze bei der Traube in die Höhe zu heben, und senkrecht auf die Mündung aufzustellen.
7) Ein schadhaftes Rad zu würgen. Wenn die Radschiene entzwei gesprungen, oder einige Speichen lose geworden sind, so muss das Rad gewürgt, oder geknebelt werden. Ein Würgband ist von Eisen, und hat die Gestalt eines unten offenen Vierecks, wie jedes gewöhnliche Ziehband, so dass die Felge von beiden Seiten umklammert wird; unten hat das Würgeband zwei Löcher, um einen Bindestrang durchziehen zu können. Um beide Speichen, zwischen welchen die Radschiene gesprungen ist, wird oben, eine Hand breit von der Felge, ein Strick umgeschlungen, das Würgeband um den Bruch aufgesetzt, etwas Stroh zur Verminderung des Stoßes untergelegt, und der Strick um die Nabe geschlungen, wieder durch die Löcher des Würgebandes gezogen, und damit fortgefahren, so lange der Strick noch ausreicht. In der Mitte, zwischen Felge und Rad, wird ein Knebel eingesetzt, die Stricke somit festgeknebelt, so dass der erstere quer vor beide Speichen zu liegen kommt. Ist das Rad an mehreren Stellen wandelbar, so legt man zwei oder vier Würgebänder übers Kreuz an.
8) Ein im Morast versunkenes Geschütz herauszuschaffen. Zuerst ist es nötig, die von den Rädern sich angehäufte Erde wegzuschaffen, und dürres Reisig vor die Räder zu legen. Das Geschütz muss abgeprotzt werden, und die Protze fährt zuerst allein heraus. Alsdann hängt man 6 oder 8 Pferde an den Lafettenschwanz, bringt eine Winde aus untergelegten Bohlen unter die Achse der Lafette, oder lässt sie durch Artilleristen mit Hebebäumen in die Höhe heben, worauf dann die Pferde anziehen.
9) Ein umgeworfenes Geschütz wieder aufzurichten. Ist eine 6-pfündige Kanone umgeworfen, so befestigt man das Rohr an die Lafette mit einer Kette oder einem Tau, und kann sie dann leicht durch Hebebäume wieder aufrecht bringen. Ist eine 12-pfündige Kanone umgeworfen, so dass beide Räder auf der Erde liegen, so nimmt man die Kanone aus der Lafette, und bringt diese erst aufrecht. Hierauf zieht man beide Räder ab, legt die Kanone auf die Lafette, und steckt dann ein Rad nach dem anderen wieder an, indem man sie erst an der einen, dann an der anderen Seite, durch Winden oder Hebebäume in die Höhe bringt.
10) Ein demontiertes Geschütz fortschaffen. Wird im Gefecht eine Lafette so zerschossen, dass es nicht möglich ist, das Geschütz auf ihr fortzuführen, so müssen wenigstens das Rohr, die Räder, der Lafettenkasten und das Ladezeug gerettet werden. In das Rohr wird ein Baum gesteckt, und die Prolonge um denselben und um die Schildzapfen umgeschlungen, das andere Ende aber über den Protznagel gehängt. Zwei Mann begleiten das Rohr, um es über die Unebenheiten des Terrains hinwegzuhelfen. Der Lafettenkasten wird auf die Protzarme hinter den Protzbalken gestellt; durch die Naben der Räder aber ein Baum gesteckt, um die Räder auf diese Art wegzurollen.
Muss man eine zerschossene Protze dem Feind überlassen, so wird wo viel Munition in der Geschwindigkeit ausgepackt, als in den Lafettenkasten hineingeht, das Geschütz mit dem Langtau weggefahren, und ein Stück brennende Lunte in den Protzkasten gelegt. Mit den Munitionswagen, wenn sich nicht fortgeschafft werden können, muss man eben so verfahren. Hat man aber nicht Zeit dazu, so fährt man mit der Batterie einige hundert Schritt weit zurück, lässt eine Kanone abprotzen, und nach dem Munitionswagen feuern, der natürlich in die Luft fliegt, sobald er getroffen wird. Denn, wenn eine Kanonenkugel durch eine Protze oder einen Wagen geht, so fliegt er unter 100 Malen 99 Mal in die Luft, da wegen der geschränkten (umzechtigen) Verpackung, eine oder die andere Kugel notwendig berührt, und dadurch ein Funke erzeugt werden muss.
Quelle: Rumpf, H. F.: Allgemeine Real-Encyclopädie der gesammten Kriegskunst (Berl. 1827)